Newsletter Gender Law 2025#1
Willkommen in unserem Newsletter!
In einer Zeit, in der die Vielfalt und die Gleichheit der Geschlechter in unseren westlichen Gesellschaften einem Aufschwung reaktionärer Bewegungen gegenüberstehen und sich auf der anderen Seite des Atlantiks Massnahmen zur Zerstörung dieser Werte häufen, war das physische und virtuelle Zusammenkommen so vieler inspirierender Menschen im freundlichen Neuenburg richtiggehend belebend. Zahlreiche wissenschaftlich Tätige haben mit uns die Ergebnisse ihrer Forschungen aus queer-feministischer Perspektive im Rahmen unserer Konferenz Gender Law 2025 am 6. und 7. Februar 2025 mit dem Titel «Soziale Gerechtigkeit und Krisen: queer-feministische theoretische Überlegungen der Rechtswissenschaft» an der Universität von Neuenburg geteilt! Zwei Tage lang erlebten wir ein wahres Feuerwerk an Inputs, von denen wir hier nur einige Farben teilen können.
Dr. Friederike Beier hat die Verbindungen zwischen dem materialistischen Feminismus und dem Queerfeminismus aufgezeigt und dabei auf Monique Wittigs Idee hingewiesen, wonach Geschlechterklassen, die Herrschaftsverhältnisse ermöglichen, abgeschafft werden sollten. Dr. Friederike Beier hat ausgeführt,wie der materialistische Feminismus, der das Geschlecht als Herrschaftsverhältnis gleich einer sozialen Klasse begreift, den sich wandelnden Charakter des Geschlechts aufgezeigt hat, so wie es alle sozialen Klassen sind. Die Vorstellung, dass das Geschlecht evolutionär ist, schreckt die reaktionären Bewegungen ab. Dr. Friederike Beier erinnerte in diesem Zusammenhang an eine ermutigende Aussage von Ursula Le Guin: «Der Gebrauch der Vorstellungskraft ist gefährlich für diejenigen, die vom gegenwärtigen Zustand der Dinge profitieren, denn er kann uns zeigen, dass der gegenwärtige Zustand der Dinge weder dauerhaft noch universell noch notwendig ist».
Die Durchbrechung der sogenannten «natürlichen» Fortpflanzung durch medizinisch unterstützte Reproduktionstechnologien sowie die Abschaffung von Geschlecht als Rechtskategorie würden ihrerseits interessante Perspektiven zur Überwindung der binären Geschlechterordnung als Etablierung einer Hierarchie eröffnen (zu diesem Thema, vgl. mehrere italienischsprachige Beiträge, die in diesem Newsletter zusammengefasst sind). Es stellt sich jedoch die Frage, ob dadurch nicht der Fokus auf die Diskriminierung von Menschen, die als Frauen wahrgenommen werden, verloren gehen und die Wahrnehmung ihrer Unterdrückung im Meer der vielfältigen Formen von Diskriminierung und der oftmals damit verbundenen Identitätspolitik ertrinken könnte. Dies würde das Patriarchat beruhigen, indem es die bestehende Ordnung bewahren würde.
Professor Bruno Perreau plädiert seinerseits für die Berücksichtigung der «Intrasektionalität» zwischen den vor Diskriminierung zu schützenden Kategorien, die es ermöglichen würde, dass der Schutz einer Minderheitenkategorie auch dem Schutz anderer dienen kann. Er lenkte unsere Aufmerksamkeit auch auf die Tatsache, dass selbst innerhalb von Minderheiten dominante Gruppen entstehen können, die bestimmen, wer zur Minderheitengemeinschaft gehört und wer nicht. Konkrete Beispiele für dieses Phänomen lieferte uns Dr. Carole Ammann. Sie zeigte unter anderem, wie ein schwuler Elternteil, der vor seinem Coming-out mit einer Person des anderen Geschlechts Kinder gezeugt hatte, deshalb seine Zugehörigkeit zur Schwulengemeinschaft in Zweifel gestellt sehen könnte, während engstirnige Geister gleichzeitig seine Elternschaft aufgrund der Homosexualität, in Frage stellen könnten. Dr. Aysegül Sah Bozdogan Iles hat ihrerseits die grosse Vielfalt asexueller Menschen aufgezeigt und die mangelnde Aufmerksamkeit betont, die ihnen zuteil wird. Sie sind einer Pathologisierung ihrer Asexualität und sozialem Druck sowie Gesetzen ausgesetzt, die auf der Idee beruhen, dass sexuelle Beziehungen wichtig sind. In diesem Zusammenhang hat Kiana Ilyin ein begrüssenswertes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Januar 2025 vorgestellt (vgl. seine Zusammenfassung in unserem Newsletter). Mit diesem Urteil hat der Gerichtshof klargestellt, dass Frankreich das Recht einer Frau auf Achtung ihres Privatlebens verletzt hat, indem es eine Scheidung wegen alleinigem Verschulden einer Frau deshalb ausgesprochen hat, weil sie sich jahrelang geweigert hatte, mit ihrem Mann eine sexuelle Beziehungen zu unterhalten.
In Bezug auf die Problematik der Pflegearbeit erinnerte Stefanie Gröhl an die Notwendigkeit, die weniger sichtbare Kategorie der Kinder zu schützen, die als pflegende Angehörige Familienmitgliedern mit besonderem Pflegebedarf helfen, ohne den nötigen Abstand zu haben, um die Besonderheit ihrer Situation zu erkennen. Dr. Alice Bertram widmete sich der Binarität der Zeitregulierung in der deutschen Gesetzgebung, insbesondere im Arbeitsrecht. Die Gesetzgebung geht davon aus, dass die Zeit entweder bezahlt oder frei ist, obwohl in dieser sogenannten «freien» Zeit viele Stunden für unbezahlte Haus- und Pflegearbeit aufgewendet werden können. Um diejenigen besser zu schützen, die unentgeltliche Pflege erbringen, hat Dr. Saskia Thomi für das Schweizer Recht eine Verantwortungsgemeinschaft vorgeschlagen, die automatisch entsteht, wenn eine Person – auf Kosten ihrer bezahlten Tätigkeit – Pflegearbeit für eine andere Person leistet, die in einem besonderen Näheverhältnis zu ihr steht (vgl. Newsletter 2024#4). Diese Verantwortungsgemeinschaft würde insbesondere für die Person, die Pflegeleistungen erbringt, einen Anspruch darauf begründen, von der Person, die Pflegeleistungen erhält, einen Unterhaltsbeitrag zu erhalten, wenn sich dies als notwendig erweisen sollte, um ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren. Es würde sich nicht um ein binäres Pflegeverhältnis handeln, denn bei mehreren Pflegeverhältnissen, an denen dieselbe Person beteiligt ist, könnten sich mehrere Verantwortungsgemeinschaften überlagern.
Zum Thema Gewalt gegen Frauen hat Dr. Lisa Grans insbesondere die mangelnde Aufmerksamkeit angeprangert, die den tieferen Ursachen häuslicher Gewalt und der Notwendigkeit, diese anzugehen, gewidmet wird (vgl. dazu auch das Editorial unseres Newsletters 2024#3). Medien konzentrieren sich meist auf die Kriminalisierung häuslicher Gewalt, während der Femonationalismus vorgibt, den Feminismus zu verteidigen, indem er die Einwanderung angreift. Wie Barbara Nyasha Sambo, die daran erinnerte, dass kulturelle Normen den Kampf gegen häusliche Gewalt behindern, betonte auch Dr. Lisa Grans die Notwendigkeit, die sozialen und kulturellen Machtnormen zwischen Frauen und Männern zu ändern.
Wie wichtig es ist, Utopien zu entwickeln, wurde uns schliesslich von Dr. Friederike Beier in Erinnerung gerufen. Ihre Utopie ist eine zukünftige Gesellschaft ohne Geschlecht – d. h. in der das Geschlecht jegliche soziale Relevanz verliert – und die sich auf die Sorgearbeit konzentriert. Wenn wir unseren Karren an einen Stern hängen, werden wir tatsächlich die Kraft finden, gegen den Gegenwind anzukämpfen.
Für die Redaktion:
Alexandre Fraikin (verantwortlicher Redaktor), Sandra Hotz, Manuela Hugentobler, Nils Kapferer und Rosemarie Weibel