Zur Strafbarkeit von verbaler sexualisierter Belästigung in Deutschland
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Gender Law Newsletter FRI 2024#2, 01.06.2024 - Newsletter abonnieren
DEUTSCHLAND: STRAFRECHT (GASTBEITRAG)
Gastbeitrag von Rebecca Rohm
Die Autorin dieses Gastbeitrags setzt sich kritisch mit der deutschen Rechtsprechung über verbale sexuelle Belästigung auseinander.
Eine Umfrage des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2021 ergab, dass fast alle der 3.900 Befragten (weit überwiegend Frauen) Catcalling im Alltag erleben, zum Teil mit gravierenden psychischen Folgen. Anfang 2024 kündigte die niedersächsische Justizministerin an, im Juni eine Initiative zur Strafbarkeit verbaler sexueller Belästigung in den Bundesrat einzubringen. Im Folgenden daher einige Informationen zur aktuellen Rechtslage in Deutschland und feministisch-kritische Überlegungen dazu. Aufmerksame Leser*innen werden bereits bemerkt haben, dass hier – und in der öffentlichen Diskussion – mitunter verschiedene Begriffe verwendet werden. Üblicher ist wohl der Begriff der sexuellen Belästigung. Richtig weist jedoch bspw. Dr. Heike Pantelmann daraufhin, dass der Begriff sexualisierte Belästigung die dahinter in den meisten Fällen stehende Machtausübung besser ausdrückt.
Unter Catcalling wird umgangssprachlich die verbale sexualisierte Belästigung durch z.B. Nachpfeifen oder Nachrufen verstanden. Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) weist in einem Policy Paper darauf hin, dass „auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen darunter fallen können, wie z.B. aufdringliche Blicke, Kussgeräusche, anzügliche Bemerkungen, obszöne Witze, unangemessene Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, exhibitionistische Handlungen, unerwünschtes Zeigen pornografischer Inhalte, anzügliche Bemerkungen über den Körper einer Person, sexuell motiviertes Verfolgen, Bedrängen oder körperliches Berühren einer Person sowie sexuelle Belästigung mittels digitaler Medien“. Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, soll es hier vor allem um verbale Äußerungen im öffentlichen Raum gehen, also um das, was verharmlosend, aber weit verbreitet als "Catcalling" bezeichnet wird.
Strafbarkeit nach geltendem Recht
Im Zuge der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 2017, mit der nach dem Willen des Gesetzgebers der Grundsatz „Nein heißt Nein“ Einzug in das deutsche Strafgesetzbuch halten sollte, wurde auch der Straftatbestand der sexuellen Belästigung geschaffen. Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 184i StGB ist allerdings eine körperliche Berührung. Verbale Belästigungen sind daher nicht erfasst. Eine Strafbarkeit solcher kommt allenfalls als Beleidigung in Betracht. Für eine Beleidigung nach § 185 StGB muss die betreffende Äußerung eine Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung sein. Bei sog. Formalbeleidigungen, d.h. bei der „Verwendung von gesellschaftlich absolut missbilligten und tabuisierten Ausdrücken, etwa aus der Fäkalsprache“ (BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020 1 BvR 2397/19), ist die Annahme einer Beleidigung grundsätzlich naheliegend.
In den Augen der Richter*innenschaft weniger eindeutig strafrechtlich einzuordnen sind hingegen sexualisierte Äußerungen, die Aufforderung zu sexuellen Handlungen sowie Kommentare zum Körper. Teils wird jedenfalls die anlasslose Annahme, eine Person sei zu Prostitution/Sexarbeit bereit, als Herabwürdigung und damit strafbare Beleidigung angenommen (BGH, NStZ 1992, 33). Auffällig ist, dass sich die Herabwürdigung in den Augen des Gerichts nicht etwa aus einer Herabwürdigung zum bloßen Objekt der eigenen Befriedigung ergibt, sondern aus der Unterstellung einer sog. unmoralischen Tätigkeit.
Teils sehen Gerichte die relevante Herabwürdigung – richtigerweise – aber auch darin, dass die angesprochene Person als Objekt zur Befriedigung der Bedürfnisse des Täters angesehen und behandelt wird. Das ist jedoch keinesfalls Konsens der deutschen Rechtsprechung. Vielmehr geht der Bundesgerichtshof (BGH) davon aus, dass „allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht genügt“ (BGH, Beschl. v. 2.11.2017, 2 StR 415/17, Rn. 14). Ähnlich liegt der Fall bei sexualisierenden Kommentaren zum Aussehen und Körper. Eine Herabwürdigung dürfte grundsätzlich nach geltendem Rechtsverständnis nur bei entsprechendem Vokabular als herabwürdigende Reduktion auf Geschlechtlichkeit gewürdigt werden. Dies wird damit begründet, dass das Schutzgut der Beleidigung die persönliche Ehre und nicht etwa sexuelle Selbstbestimmung sei.
Legt man diese Maßstäbe an, sind die beschriebenen verbalen sexualisierten Belästigungen weder nach dem Sexualstrafrecht noch als Beleidigungen strafbar. Dies gilt jedenfalls im Grundsatz und nach den kurz skizzierten Maßgaben der Rechtsprechung. Insgesamt zeigt sich darin auch der sexistische Normalzustand.
Argumente für und gegen die Strafbarkeit verbaler sexualisierter Belästigung
Manche argumentieren nun, das Strafrecht sei für sich kein geeignetes Mittel, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen. Denkbar wären jedoch auch andere Sanktionen außerhalb des Strafrechts. So belegt bspw. Art. 222-33-1-1 des französischen Code pénal sexuell konnotierte Äußerungen unter gewissen Umständen mit einem Bußgeld, unter anderem wenn sie geeignet sind, die Würde der Person, auf Grund ihres erniedrigenden, herabwürdigenden Charakters, zu verletzten. Diese Skepsis gegenüber dem Recht an sich kommt jedoch – soweit zu überblicken – nicht etwa aus der Tradition der autonomen Frauenbewegung, sondern von Autor*innen, die verbale sexualisierte Belästigung generell als nicht unbedingt sanktionswürdig ansehen.
Die Frage der Sanktionswürdigkeit ist enorm von patriarchalen Vorstellungen geprägt. Sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum wird erschreckend weit in der Fachliteratur und Rechtsprechung verbreitet als normal, unerheblich bis hin zu sozialadäquat angesehen. Im Ergebnis erfolgt bei der Prüfung, ob eine Beleidigung vorliegt in der Rechtspraxis im Einzelfall eine Abgrenzung zwischen aufdringlicher, aber als sozialadäquat angesehenen Annäherung und strafbarer Herabwürdigung. Hier wird insbesondere von männlichen Fachautoren sehr großzügig davon ausgegangen, dass sexualisierte Kommentare und Aussagen bloß distanzlose Versuche aufdringlicher Kontaktherstellung seien. Gegen eine Strafwürdigkeit wird zudem angebracht, dass es sich um eine bloße Lästigkeit handele, wie beispielsweise laute Musik oder Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit. Betroffene könnten sich der Situation durch bloßes Weggehen oder Ablehnen entziehen, weshalb die Intensität auch sehr gering sei.
Diese Argumentation ignoriert jedoch, dass in der gesellschaftlichen Realität einerseits Ablehnung oft zu männlicher Kränkung und aggressiven Reaktionen führt. Zudem ist der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung bereits passiert. Denn die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung in seiner negativen Dimension ist dann sanktionswürdig, wenn Sexualität unerwünscht aufgedrängt wird. Um der rechtsstaatlich gebotenen Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, schlägt der DJB eine Art Erheblichkeitsschwelle vor. Diese sei jedenfalls dann überschritten, wenn eine Person in ein sexuelles Geschehen gezogen wird, wenn die Bedrängung länger anhält, wenn man nicht auf zumutbare Weise ausweichen kann oder das Täterverhalten geeignet ist, herabzuwürdigen.
Schließlich verkennt die Argumentation auch völlig, dass sexualisierte Kommentare und Blicke im öffentlichen Raum oft auch den männlichen Machtanspruch in der öffentlichen Sphäre unterstreichen und verfestigen. Bekanntermaßen sind Frauen (und andere von der binären Heteronormativität abweichende Menschen) nicht nur nachts und in Clubs und an verlassenen Plätzen, sondern auch tagsüber an belebten Orten wie öffentlichen Verkehrsmitteln mit sexualisierenden Kommentaren konfrontiert. Wenn ihnen also geraten wird, sich einfach nicht in derartige Situationen zu begeben, stellt das eine Täter-Opfer-Umkehr dar und führt letztlich dazu, dass eine Verdrängung aus dem öffentlichen Raum stattfinden kann. Das kann hoffentlich nicht ernsthaft ein Lösungsvorschlag oder ein Gradmesser für die Intensität einer sexualisierten Belästigung sein.
Abzuwarten bleibt nun, ob der angekündigte Vorstoß im Bundesrat tatsächlich stattfindet und was nach politischer Debatte noch davon übrigbleiben wird. Notwendig bleibt es leider auch im Jahr 2024 noch, der Normalisierung von alltäglicher Sexualisierung ausdrücklich entgegenzuwirken. Dies hat entgegen der Meinung einiger männlicher Autoren auch nichts mit einem „moralisierenden“ Strafrecht zu tun, sondern dient dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Die Frage, was gesellschaftlich akzeptiert und was als schädlich und damit sanktionswürdig bewertet wird, ist immer auch eine von Moralvorstellungen geprägte. Die Frage ist nur, wessen Moral als normal und objektiv zugrundegelegt wird.
Leseempfehlungen hierzu:
DJB (Deutscher Juristinnenbund), Policy Paper: „Catcalling“ vom 14.4.2021 sowie
Hoven/Rubitzsch/Wiedmer, Catcalling – Eine phänomenologische und strafrechtliche Betrachtung in KriPoZ 2022, S. 175 ff.
Zur Rechtslage siehe auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD 7 – 3000 – 115/20.