Wie hoch ist der unfaire Lohnunterschied wirklich?
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SCHWEIZ: LOHNGLEICHHEIT
2023 - Datensammlung: Ergebnisse der Lohngleichheitsanalysen in Schweizer Unternehmen - Universität St. Gallen, Forschungsstelle für internationales Management, im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes.
Eine Erhebung der Universität St. Gallen im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes zeigt, dass 99,3 Prozent der ausgewerteten Unternehmen das Gleichstellungsgesetz einhalte - ist dem wirklich so?
Pünktlich zum Frauenstreiktag teilte der Schweizerische Arbeitgeberverband mit, dass eine von ihm «in Auftrag gegebene Erhebung der Universität St. Gallen zeigt, dass 99,3 Prozent der ausgewerteten Unternehmen das Gleichstellungsgesetz einhalten.
Gleichwohl sind weitere Anstrengungen angezeigt, um die Lohndifferenzen zwischen den Geschlechtern weiter zu verringern.»
Wenn frau* sich die Sache etwas genauer anschaut, handelt es sich um folgendes:
Es wurden die von insgesamt 615 Unternehmen mit rund 550'000 Mitarbeitenden gelieferten Daten gesammelt (rund zehn Prozent der Unternehmen mit 100 und mehr Mitarbeitenden in der Schweiz);
eine detaillierte Analyse wurde für die drei Viertel (463) der Unternehmen durchgeführt, die eine Lohngleichheitsanalyse mit der vom Bund zur Verfügung gestellten Methode, Logib, durchgeführt hatten.
Es handelt sich also um betriebsinterne Lohnanalysen. Die branchen- und betriebsübergreifende Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) hat gezeigt, dass die Lohnunterschiede gesamtwirtschaftlich 18% ausmachen, wovon 52.2 als erklärbarer Anteil und 47.8% als unerklärter Anteil deklariert werden und somit eine unerklärte Lohndifferenz von 7.8% (ebg, Zahlen und Fakten).
In beiden Fällen wird die Lohndifferenz auf Vollzeitstellen berechnet, also ohne Berücksichtigung des sog. Gender Earning Gaps bzw. der Einkommensunterschiede (43.2%) an sich (dazu zuletzt: NL 2023#2).
Die St. Galler Analyse zeigt, was wir schon lange beschrieben haben (siehe NL2019#1; NL2022#4): Lohndiskriminierungen erscheinen in den Lohngleichheitsanalysen nach Art. 13a ff. GlG nicht mehr als solche. Dabei zeigt selbst die St. Galler Analyse: «Unter Berücksichtigung der berufsspezifischen (Hierarchiestufe und Kompetenzniveau) und persönlichen Merkmale (Ausbildung, potenzielle Erwerbserfahrung, Dienstjahre) zeigt die Datensammlung eine durchschnittliche, sogenannte «unerklärte» Lohndifferenz von 3.3% zwischen Frauen und Männern in den 463 Unternehmen. In den meisten Fällen (124 von 130) verdienen Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen. In 6 von 130 Fällen verdienen Männer weniger als ihre weiblichen Kolleginnen.» Es handelt sich dabei um Unterschiede, die unter der sog. Toleranzschwelle liegen und somit nicht als diskriminierend im engeren Sinne gelten bzw. damit erklärt werden, dass Logib z.B. auf die potentiellen Dienstjahre abstellt, Betriebe hingegen auf das – potentiell Frauen benachteiligende –effektive Dienstalter.
Gezeigt haben sich auch regionale Unterschiede: Die durchschnittliche Lohndifferenz ohne Berücksichtigung der berufsspezifischen und persönlichen Merkmale ist in Zürich besonders hoch (20.72%), unter Berücksichtigung dieser Merkmal in der Zentralschweiz (4.73%). Auch je nach Branche gibt es Unterschiede: «Die hohe Lohndifferenz (helle Balken) ohne Berücksichtigung der berufsspezifischen und persönlichen Merkmale in der Branche Banken, Versicherungen & Treuhand weist darauf hin, dass Frauen vor allem in besser bezahlten Jobs weniger repräsentiert sind und mehrheitlich Jobs in den mittleren und unteren Hierarchieebenen und / oder Kompetenzniveaus besetzen.» Wobei die Frage auftaucht, was denn diese grossen (im Durschnitt 24.53%) Lohnunterschiede an sich wirklich rechtfertigt.
Der Studie ist allerdings zugute zu halten, dass die verschiedenen Aspekte (Vertretung der Frauen auf höheren Hierarchieebenen/Kompetenzniveau, Unterschied LSE/Logib usw.) behandelt und damit benannt werden. Auch dass es sich um von den Unternehmen gelieferte, unkontrollierte Daten handelt, wird offen deklariert, ebenso dass die Unternehmen möglicherweise «die Logib-Methode nicht optimal und korrekt angewendet» haben. Schliesslich sind Kleinunternehmen nicht erfasst.
Fragwürdig ist wohl vor allem die Kommunikation in den Medien, wie: «Frauen werden beim Lohn kaum diskriminiert». Am Frauenstreiktag wurden wir denn auch vor allem mit dieser Aussage, die so nach wie vor nicht stimmt, konfrontiert.
Und es bleibt die Tatsache, dass frauenspezifische Berufe bzw. Branchen unterbezahlt sind, was wegen der horizontalen Segregation allenfalls bei der LSE, kaum aber bei betriebsinternen Analysen zum Vorschein kommt.
Direkter Zugang zur Medienmitteilung des Arbeitgeberverbandes vom 13.06.2023: arbeitgeber.ch
Direkter Zugang zur Zusammenfassung der St. Galler Analyse: cdn.arbeitgeber.ch
Gender Law Newsletter FRI 2023#3, 01.09.2023 - Newsletter abonnieren