Daten zur Gewalt gegen Frauen, Identifizierung von Opfer von Menschenhandel und Folgen
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Gender Law Newsletter FRI 2024#4, 01.12.2024 - Newsletter abonnieren
SCHWEIZ: INTERPELLATION AUF BUNDESEBENE
Interpellation 24.4065 vom 26. September 2024 von Yvonne Bürgin am Nationalrat: «Nationale Erhebung und Datenanalyse zur sexuellen Ausbeutung und Gewalt» und Stellungnahme des Bundesrats vom 20. November 2024
Die Autorin dieser Interpellation stellt dem Bundesrat Fragen in Bezug auf die Erhebung von Daten zur Gewalt gegen Frauen, die Massnahmen zur Identifizierung der Opfer von Menschenhandel und zur Verweisung dieser Opfer an spezialisierte Beratungsstellen, und die Benutzung der Souveränitätsklausel für Opfer von Menschenhandel in Asylverfahren.
Die Autorin der Interpellation weist auf die drei folgenden Aspekte der Bekämpfung des Menschenhandels hin:
1.) Es seien «erhebliche Lücken in der Datenerhebung zu Fällen sexueller Gewalt in der Schweiz» im Jahresberichts der Expertengruppe des Europarates für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (GREVIO) hervorgehoben worden (vgl. dazu GREVIO, Baseline Evaluation Report. Switzerland of 13 October 2022, §§ 18, 55–58), obwohl eine effektive Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung ohne umfassende und präzise Daten kaum möglich sei.
2.) Die Schweizer Plattform gegen Menschenhandel (Plateforme Traite) habe eine verbesserte Identifizierung von Opfern des Menschenhandels, insbesondere im Asylverfahren und in Parallelgesellschaften, und der Verweis der Verdachtsfälle an spezialisierte Stellen zur Einleitung von Schutzmassnahmen empfohlen.
3.) Diese Plattform empfehle auch, Asylgesuche im Dublin-Verfahren selbst zu bearbeiten, wenn eine Rückführung nachteilig für das Opfer sein könnte.
Die Autorin der Interpellation stellt somit dem Bundesrat zusammengefasst die Fragen, welche Massnahmen er ergreift, um: 1.) Daten in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und insbesondere Prostituierte zu erheben, 2.) a.) Opfer von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt zu identifizieren und insb. b.) Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu identifizieren und an spezialisierte Beratungsstellen im Asylverfahren zu verweisen; 3.) und um auf die Rückführung der asylsuchenden Opfer von Menschenhandel in einen anderen Dublin-Staat, wenn es für diese Opfer nachteilig wäre, zu verzichten.
Der Bundesrat beantwortet diese Fragen zusammengefasst wie folgt:
1.) Was die Datenerhebung angeht, erklärt der Bundesrat, dass die Daten zu Artikel 182 StGB (Menschenhandel) seit 2020 in der polizeilichen Kriminalstatistik «aufgeschlüsselt nach sexueller Ausbeutung, Ausbeutung Arbeitskraft sowie Entnahme eines Körperorgans ausgewiesen werden» (zu diesen Statistiken, vgl. https://www.fedpol.admin.ch und https://www.bfs.admin.ch) Seit November 2023 sind dazu statistische Informationen zu sexualisierter Gewalt verfügbar (zu diesen Statistiken, vgl. https://www.bfs.admin.ch und das Editorial unseres Newsletters 2024#3). Für Gewaltstrafen wird jedoch die Tätigkeit der Opfer in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht erwähnt.
2.) a.) Was die Identifizierung der Opfer angeht, weist der Bundesrat u.a. darauf hin, dass «[d]ie meisten Kantone Kooperationsmechanismen eingerichtet [haben], welche das Vorgehen bei der Identifizierung vorgeben. Der Bund stellt zudem eine Liste der Indikatoren zur Identifizierung potenzieller Opfer von Menschenhandel zur Verfügung». Die Identifizierung der Opfer könne «durch spezialisierte Opferhilfeorganisationen, spezialisierte Polizeieinheiten und andere für das Thema Menschenhandel sensibilisierte Akteure, wie insbesondere medizinisches Fachpersonal, erfolgen». Zum Schutz der Sexarbeitenden sei zudem entscheidend, dass diese nicht im Verborgenen arbeiten. Dies sei ein der Gründe, weshalb die Prostitution in der Schweiz erlaubt und reglementiert ist.
b.) Was insbesondere Asylverfahren angeht, habe das Staatssekretariat für Migration (SEM) einen neuen Prozess zur Erkennung und Betreuung von Opfern eingeführt (vgl. dazu SEM – Arbeitsgruppe Asyl und Menschenhandel, Bericht – potenzielle Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren, Mai 2021); «Werden im Asylverfahren Hinweise auf Menschenhandel entdeckt, so werden spezifische Abklärungen durchgeführt, um zu ermitteln, ob der Anfangsverdacht bestätigt werden kann, das Opfer über seine Rechte zu informieren und allfällige besondere Bedürfnisse in Zusammenhang mit seiner Sicherheit oder Gesundheit zu identifizieren. In einigen Bundesasylzentren (BAZ) arbeitet der Rechtsschutz mit spezialisierten Organisationen zusammen und bringt Opfer bei Bedarf direkt mit diesen in Kontakt».
3.) Was die Frage in Bezug auf den Verzicht auf die Rückführung der Opfer in einen anderen Dublin-Staat angeht, zieht der Bundesrat hingegen nicht in Betracht, die Souveränitätsklausel bei Opfern von Menschenhandel systematisch anzuwenden, weil dies «eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen schutzbedürftigen Asylsuchenden darstellen würde». Er weist darauf hin, dass alle Dublin-Staaten das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels (SR 0.311.543) ratifiziert haben und «in der Regel über wirksame Instrumente zum Schutz potenzieller Opfer» verfügen würden.
Direkter Zugang zur Interpellation (https://www.parlament.ch)
Vgl. Interpellation zur Bekämpfung des Menschenhandels in unserem Newsletter