Das revidierte Sexualstrafrecht ist in Kraft getreten

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Gender Law Newsletter FRI 2024#3, 01.09.2024 - Newsletter abonnieren

SCHWEIZ: INKRAFTTRETEN EINES BUNDESGESETZES

Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 16. Juni 2023 über eine Revision des Sexualstrafrechts (AS 2024 27)

Seit dem 1. Juli 2024 ist für die Anerkennung einer Vergewaltigung keine Nötigungshandlung mehr erforderlich und auch Männer können als Opfer von Vergewaltigung anerkannt werden. Sexuelle Übergriffe ohne Nötigungshandlung werden ebenfalls bestraft. Verlangt wird aber in beiden Fällen, dass der sexuelle Übergriff oder das Eindringen in den Körperteil gegen den Willen des Opfers oder durch die Ausnutzung eines Schockzustands erfolgt. Spezifisch bestraft wird jetzt auch der Revenge porn.

Gemäss dem neuen Art. 189 Abs. 1 StGB ist bereits strafbar, «wer gegen den Willen einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von dieser vornehmen lässt oder zu diesem Zweck einen Schockzustand einer Person ausnützt». Damit ist keine Nötigungshandlung mehr nötig. Der Wille der Opfer kann verbal oder non-verbal geäussert werden. Unter den Tatbestand fallen auch überraschende Übergriffe sowie das Stealthing (unbemerktes Abstreifen des Kondoms ohne Einwilligung, das vorher nicht bestraft wurde: vgl. dazu Newsletter 2019#3; vgl. zum Ganzen Bericht vom 17. Februar 2022 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, S. 13 und 33–35).

Unter «Vergewaltigung»  versteht Art. 190 Abs. 1 StGB jetzt zudem «den Beischlaf oder eine beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist», der gegen den Willen einer Person oder mit der Ausnutzung eines Schockzustands an dieser Person vorgenommen wird oder von ihr vorgenommen lassen wird. Somit ist für die Feststellung einer Vergewaltigung keine Nötigungshandlung mehr erforderlich. Eine Vergewaltigung liegt zudem auch im Fall des Eindringens in andere Körperteile als die Vagina (Oral- und Analverkehr; vgl. dazu Art. 36 Abs. 1 Bst. a der Istanbul-Konvention) vor. Sie umfasst somit auch das Eindringen in den Körper eines Mannes. Zudem wird auch das Vornehmen lassen eines Eindringens gegen den Willen als Vergewaltigung betrachtet (vgl. den bereits zitierten Bericht, S. 13 und 40–41).

Hingegen wird keine «nur Ja heisst Ja»-Lösung vorgesehen, wonach eine fehlende Einwilligung für das Vorliegen eines sexuellen Übergriffs oder einer Vergewaltigung genügen würde. Eine solche Lösung wurde durch den CEDAW (vgl. Newsletter 2023#4) und andere Organisationen (vgl. den Newsletter 2021#2) gefordert. Gemäss Amnesty International war eine solche Lösung 2022 bereits in 14 europäischen Ländern vorgesehen. Eine Ablehnungslösung («nein heisst nein») hat sich durchgesetzt. Jedoch wird als Kompromiss auch die Ausnutzung des Schockzustandes bestraft. Treffender als der Begriff ist dabei der Begriff der tonischen Immobilität (vgl. dazu den interessanten Artikel von Sven Schleifer, zusammengefasst in unserem Newsletter, und den bereits zitierten Bericht, S. 35–36). 

Ein spezifischer Tatbestand für sexuelle Handlungen im Gesundheitsbereich wird zudem im Art. 193a StGB vorgesehen. 

Bestraft wird gemäss einem neuen Art. 197a StGB auch, wer einen nicht öffentlich sexuellen Inhalt ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person einer Drittperson weiterleitet. Damit wird insb. die Bekämpfung des Revenge Porn (Rache gegen ehemalige Partner*innen), der Nötigung zur Wiederaufnahme einer Beziehung, der Aufrufe zum Mobbing durch das Weiterleiten solcher Inhalte und der Gelderpressung bezweckt (vgl. den bereits zitierten Bericht, S. 57–58).

Direkter Zugang zum Bundesgesetz (https://www.fedlex.admin.ch)