Änderung des Ausländer*innen- und Integrationsgesetzes (AIG)
SCHWEIZ: VORENTWURF
Einschränkung der Sozialhilfeleistungen für Ausländer*innen aus Drittstaaten, erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahren vom 26. Januar 2022
Die geplante Änderung des Ausländer*innen- und Integrationsgesetz (AIG) soll die Sozialhilfeleistungen von Ausländer*innen aus Drittstaaten einschränken. Zum Vorentwurf und den geplanten Massnahmen läuft zurzeit das Vernehmlassungsverfahren. Der erläuternde Bericht geht auf das Postulat der Staatspolitischen Kommission im Ständerat vom 30. März 2017 (17.3260 «Kompetenzen des Bundes im Bereich der Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten») zurück, in welchem der Bundesrat beauftragt wurde die rechtlichen Möglichkeiten für den Ausschluss oder Einschränkung von Sozialhilfe bei drittstaatsangehörigen Ausländer*innen zu prüfen. Das Ziel sei es die Sozialhilfeleistungen für Ausländer*innen einzuschränken und die Kosten zu reduzieren.
Kommentar Meret Lüdi: Die Vorlage beabsichtigt, die Sozialhilfeansätze für drittstaatsangehörige Ausländer*innen in den ersten drei Jahren nach Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zu senken. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, leben die Mehrheit aller Unterstützungseinheiten mit Bezügen von über 80’000 Franken innert drei Jahren in Familienhaushalten mit Kindern (58 %), davon ist wiederum die Mehrheit alleinerziehend (53 %). Es sind somit insbesondere alleinerziehende Personen und daher Frauen, die von einer Senkung der Sozialhilfeleistungen besonders betroffen sein werden. Auch die in den betroffenen Haushalten lebenden Kinder werden unter einer zunehmenden sozialen Isolation leiden, was nicht dem Kindeswohl entspricht.
Die im Bericht aufgeführten in den letzten Jahren zahlreich getroffenen Massnahmen zur Senkung der Sozialhilfe im Migrationsbereich, werfen die Frage auf, wieso neben den bereits bestehenden Handlungsoptionen eine weitere Verschärfung notwendig und zielführend sein soll. Heute kann bereits bei Sozialhilfebezug eine Rückstufung verfügt werden (AIG 63 II), sowohl die Niederlassungs- wie auch die Aufenthaltsbewilligung können sodann widerrufen werden (AIG 62 I lit. e und AIG 63 I lit. c) und Sozialhilfebezug und drohender Sozialhilfebezug stehen ausserdem dem Familiennachzug teilweise entgegen (AIG 43 I lit. c, AIG 44 I lit. c, AIG 45 I lit. c). Auch bei Trennung der Ehegatten wird für die Verlängerung der Bewilligung der nachgezogenen Person Sozialhilfeunabhängigkeit verlangt (AIG 50 I lit. a).
Der Bericht geht davon aus, dass die Herabsetzung der Unterstützungsleistungen die Motivation zur (wirtschaftlichen) Integration von Drittstaatsangehörigen erhöhe. Die im Rahmen der Integrationsagenda 2019 gemachten Untersuchungen zu Unterstützungleistungen bei vorläufig aufgenommenen Personen widerlegen diese These. Gemäss den wissenschaftlichen Erkenntnissen sei bei vorläufig aufgenommenen Personen die Motivation zur Integration bei Kürzungen der Leistungen gerade nicht eingetroffen. Im Gegenteil habe eine Herabsetzung der Unterstützungsleistungen zu längerfristiger Unterstützungsabhängigkeit geführt. Kürzungen beschränkten demnach die Teilhabemöglichkeiten und die Integration von vorläufig aufgenommen Personen. In der Integrationsagenda hat der Bundesrat festgehalten, dass ein Franken Investition in die Integration von vorläufig aufgenommenen Personen bis zu vier Franken Folgekosten für den Staat erspare (Integrationsagenda Schweiz, Ziff. 4.l.).
Andere Lösungen, wie beispielsweise die Erhöhung der Löhne, wären zielführender: so reicht das Einkommen oft trotz voller Erwerbstätigkeit nicht für die Absicherung des Existenzminimums aus. Insbesondere frauenspezifische Berufe im Care- und Reinigungssektor sind besonders schlecht bezahlt. Auch der Situation von alleinerziehenden Personen mit Betreuungspflichten sollte mehr Rechnung getragen werden.
(Vernehmlassungsfrist: 3.5.2022).
Bericht des Bundesrat in Erfüllung des Postulats vom Juni 2019 (parlament.ch)
Direkter Link zum erläuternden Bericht der Vernehmlassung (fedlex.data.admin.ch)
Gender Law Newsletter FRI 2022#1, 01.03.2022 - Newsletter abonnieren