Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Sorgfaltspflichtverletzung begründet Entschädigungspflicht des Arbeitgebers

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SCHWEIZ: GLEICHSTELLUNGSGESETZ

Bundesgericht, 15. März 2023 (4A_283/2022)

Die sexuelle Belästigung ist erwiesen, der Entlastungsbeweis ist nicht erbracht. Die Entlassung nach Beschwerde wegen sexueller Belästigung ist missbräuchlich und das restliche Ferienguthaben muss angesichts auch der Notwendigkeit ärztlicher Behandlung nicht während der Kündigungsfrist bezogen werden.

Sachverhalt:
Die Arbeitnehmerin war seit 2010 bei einer Bank in Genf angestellt. Im Juli 2018 wurde ihr mitgeteilt, dass sie einer neuen Abteilung zugeteilt würde, in der auch D. arbeitete, von dem sie sexuell belästigt wurde, wonach sie erkrankte. Am 25. Juli fand auf Antrag der Angestellten ein Gespräch mit dem Personalverantwortlichen und dem Vorgesetzten statt, anlässlich dessen sie – unbegleitet und in Tränen - mit dem Belästiger konfrontiert wurde. Nach Ablauf der Schutzfrist kündigte ihr die Bank per 31. März 2019 unter Freistellung während der Kündigungsfrist und Verrechnung der verbleibenden Ferientage.

Prozessgeschichte:
Die Arbeitnehmerin machte geltend, es handle sich um eine Rachekündigung infolge ihrer Beschwerde wegen sexueller Belästigung. Sie verlangte eine Entschädigung wegen sexueller Belästigung, missbräuchlicher Kündigung sowie für nicht bezogene Ferien.
Das erstinstanzliche kantonale Gericht sprach ihr die verlangte Entschädigung für nicht bezogene Ferien zu, einen Monatslohn (schweizerischer Durchschnittslohn von 6'502.00) als Entschädigung wegen Diskriminierung durch sexuelle Belästigung sowie drei Monatslöhne wegen missbräuchlicher Kündigung. Das kantonale Obergericht bestätigte das vorinstanzliche Urteil. Die Arbeitgeberin zog das Urteil vor Bundesgericht.

Bundesgerichtsurteil:
Die Arbeitgeberin macht zunächst geltend, die Vorinstanzen hätten sich bei der Beurteilung, ob sexuelle Belästigung vorlag, einzig auf die Sensibilität der Arbeitnehmerin gestützt. Das Bundesgericht ruft zunächst Art. 328 OR in Erinnerung, wonach der Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen hat. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht sexuell belästigt werden und dass den Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen. Art. 4 GlG definiert sodann als diskriminierend jedes belästigende Verhalten sexueller Natur oder ein anderes Verhalten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt. Darunter fallen insbesondere Drohungen, das Versprechen von Vorteilen, das Auferlegen von Zwang und das Ausüben von Druck zum Erlangen eines Entgegenkommens sexueller Art. Sexuelle Belästigung kann verschiedene Formen annehmen, wie sexistische Sprüche, anzügliche und peinliche Bemerkungen, Vorzeigen oder Benutzen von pornographischem Material, Berührungsversuche mit dem Versprechen von Vorteilen oder der Androhung von Nachteilen und allgemein jegliches Ausüben von Druck zum Erlangen eines Entgegenkommens sexueller Art. Art. 4 GlG umfasst nicht nur Fälle von Machtmissbrauch, sondern sämtliche Belästigungen sexueller Art, die ein feindseliges Arbeitsklima schaffen (E. 3.1). Die Vorinstanz hatte unter anderem festgehalten, dass die Arbeitnehmerin seit Herbst 2017 Opfer von unangebrachten Bemerkungen war und dass der Angestellte ihr am Weihnachtsabend 2017 zweimal ans Gesäss gegriffen und sie nach der Grösse ihres Büstenhalters gefragt hatte (E. 3.2).
Die Arbeitgeberin stellt unter anderem die Glaubwürdigkeit der AN in Frage weil sie sich zunächst über einen andern Kollegen und nicht auch über D. beklagt habe. Es ist allerdings nicht erstaunlich, dass die Arbeitnehmerin sich nicht als erstes bezüglich D. exponierte. Dass andere Kollegen die Belästigungen nicht bezeugten heisst auch noch nicht, dass die AN in deren Abwesenheit nicht belästigt wurde. Zeugenaussagen anderer Bankangestellter, die keine sexuellen Belästigungen festgestellt hatten, können die Erklärungen der Betroffenen, von Kollegen und nahestehenden Personen sowie des betreuenden Arztes und WhatsApp nicht in Zweifel ziehen. Insgesamt liegt keine willkürliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung durch die untere Instanz vor (E. 3.3).
Was die angeblich besondere Sensibilität der Arbeitnehmerin betrifft, gibt das Bundesgericht zu bedenken, dass das Berühren des Gesässes ohne Einverständnis der betroffenen Person objektiv eine sexuelle Belästigung darstellt (E. 3.4).
Bezüglich Entlastungsbeweis nach Art. 5 Abs. 3 GlG, hatte die Arbeitgeberin zwar interne Weisungen mit Bezug auf das Verfahren bei sexueller Belästigung erlassen. Sie hatte aber keine Vertrauensperson bezeichnet und der unbegleiteten Betroffenen eine Konfrontation mit dem Belästiger zugemutet, obwohl sie offensichtlich in Schwierigkeiten war (sie weinte). Ausserdem waren die Weisungen nicht leicht zugänglich, das Beschwerdeformular befand sich erst auf der zweitletzten Seite und in Kleinschrift und ein externes Programm zur Unterstützung enthielt keine Hinweise auf sexuelle Belästigung, ebensowenig wie das Beschwerdetool. Die Vorgesetzten selbst kannten das interne Verfahren offensichtlich nicht. Dass die AN wenig proaktiv war hatten die Vorinstanzen bereits bei der Festsetzung der Entschädigung (ein Monatslohn) berücksichtigt. Durch das wenig wohlwollende Vorgehen hat die Arbeitgeberin ihre Fürsorgepflicht nach Art. 328 OR verletzt. Was schliesslich das interne Verfahren zur Abklärung des Sachverhalts anbelangt, kritisiert das Bundesgericht insbesondere, dass dieses in nur 19 Tagen durchgeführt, dass die Anhörungen von einer einzigen Person vorgenommen und keine Protokolle erstellt wurden. Die Bank hat damit ihre Sorgfaltspflicht verletzt. (E. 4).

Missbräuchlichkeit der Kündigung: Die Arbeitgeberin hatte der AN gekündigt, nachdem diese sich in gutem Glauben wegen sexueller Belästigung beschwert hatte und weil das Vertrauensverhältnis infolge eben dieser Beschwerde, die die Bank für unbegründet und rufschädigend befand, getrübt sei. Die Kündigung ist damit in direktem Zusammenhang mit der Beschwerde und somit missbräuchlich (Art. 336 Abs. 1 Bst. d OR). (E. 5)
Da die Gekündigte vollständig arbeitsunfähig war, ihr psychischer Zustand fragil und sie wöchentlich ärztlicher Behandlung (Psychotherapie) bedurfte kann schliesslich nicht von ihr verlangt werden, die restlichen Ferien (10.5 Tage) während der Kündigungsfrist von weniger als drei Monaten zu beziehen. (E. 6).
Die Beschwerde wird somit vollständig abgewiesen.

Direkter Link zum Urteil (bger.ch)

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