Recht stillender Mütter, von der Arbeit fernzubleiben
SCHWEIZ: ARBEITSRECHT
Bundesgericht, 7. Juni 2023 (4D_49/2022)
Nach der 16. Woche nach der Niederkunft besteht formell kein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit, sondern einzig darauf, dass Arbeitgebende die erforderliche Zeit zum Stillen freigeben.
Im Urteil 4D_49/2022 vom 7. Juni 2023 stellte das Bundesgericht fest, dass das kantonale Gericht Art. 35a ArG ohne Willkür dahingehend ausgelegt hat, dass stillenden Müttern formell kein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit nach der sechzehnten Woche nach der Geburt ihres Kindes zusteht. Nach Ablauf dieser Frist, wenn die vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Massnahmen es der Arbeitnehmerin nicht ermöglichen, ihren Säugling zur Zufriedenheit zu stillen, kann diese einzig verlangen, von der Arbeit freigestellt zu werden (unter Berufung auf Art. 35a Abs. 2 ArG; E. 3.2). In Anwendung von Art. 35a Abs. 2 ArG können sich schwangere Frauen zwar auf einfache Mitteilung hin von der Arbeit freistellen lassen oder diese verlassen, stillende Mütter können jedoch nur über die zum Stillen notwendige Zeit verfügen, so dass das zu stellende Freistellungsgesuch in Zusammenhang mit dem Stillen des Kindes stehen muss. Dies ist nicht der Fall, wenn die Mutter Probleme mit der Betreuung des Kindes geltend macht, ohne auf das Stillen Bezug zu nehmen (E. 3.3.3).
Es ist auch nicht willkürlich, Art. 337 OR dahingehend auszulegen, dass Arbeitgebende eine stillende Arbeitnehmerin, die (fälschlicherweise) behauptet, es stehe ihr gemäß Art. 35a Abs. 2 ArG frei, sich von der Arbeit freizustellen und diese auf einfache Mitteilung hin zu verlassen, fristlos entlassen dürfen, wenn keine Rücksicht auf die organisatorischen Schwierigkeiten des Arbeitgebers genommen und dessen Anweisungen keine Folge geleistet wird (E. 4.4). (Zusammenfassung gemäss Stéphanie Perrenoud, De l’étendue du droit des mères qui allaitent de se dispenser de travailler: quelques éléments de réponse issus de l’interprétation de l’art. 35a al. 1-2 LTr ; commentaire de l’arrêt du Tribunal fédéral 4D_49/2022, Newsletter DroitDuTravail.ch octobre 2023)
Direkter Zugang zum Bundesgerichtsurteil (bger.ch)
Accès direct au commentaire par Stéphanie Perrenoud (droitdutravail.ch)
Accesso diretto al riassunto su sentenzeparita.ch (sentenzeparita.ch)
Gender Law Newsletter FRI 2023#4, 01.12.2023 - Newsletter abonnieren