Gemeinsame Elternschaft eines lesbischen Paares

CHILE, SANTIAGO: MENSCHENRECHTE

Segundo Juzgado de Familia de Santiago, 8 de Junio de 2020 (Causa roi C-10028-2019)

Gastbeitrag von Andreas GUTMANN, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bremen

Art. 182 des chilenischen Zivilgesetzbuchs ist so auszulegen, dass zwei Frauen als gemeinsame Eltern eines Kindes anerkannt werden können.
Zum ersten Mal hat ein chilenisches Gericht anerkannt, dass ein Kind, das unter Anwendung medizinisch unterstützter Reproduktionsverfahren in eine lesbische Partnerinnenschaft geboren wird, einen Anspruch auf Eintragung zweier Frauen als gemeinsame Eltern in das Zivilregister hat. Im gegenständlichen Fall hatte sich das Zivilregister geweigert, zwei Frauen, die seit mehreren Jahren in einer eingetragenen Lebenspartnerinnenschaft leben, nach Art. 182 des chilenischen Zivilgesetzbuchs als gemeinsame Eltern einzutragen. Die Vorschrift regelt, dass «[d]er Vater und die Mutter des Kindes, das durch die Anwendung medizinisch unterstützter Reproduktionsverfahren empfangen wurde […] der Mann und die Frau, die sich diesen Verfahren unterzogen haben [sind]» und biologische Abstammungsverhältnisse in diesem Fall ausser Betracht bleiben.
Das Familiengericht urteilte, dass diese Norm gegen den Wortlaut verfassungs- und völkerrechtskonform so auszulegen sei, dass auch zwei Frauen als gemeinsamen Eltern einzutragen sind. Hierfür werden vor allem drei Gründe angeführt. Erstens verlangt das Recht des Kindes auf Identität (Art. 8 der Verfassung), dass die Personen, denen eine tatsächliche Elternrolle zukommt, auch rechtlich als seine Eltern gelten (S. 22 ff.). Zweitens würde eine Verweigerung der rechtlichen Anerkennung der zweiten Mutter des Kindes dieses etwa auf dem Gebiet des Erb-, Familien- oder Sozialrecht benachteiligen (S. 24). Drittens diskriminiert eine Nichtanerkennung der Elternschaft die Partnerin der leiblichen Mutter aufgrund ihres Geschlechts und verletzt damit den Gleichheitssatz. Als Mann würde diese nach Art. 182 des Zivilgesetzbuches ohne Weiteres als Elternteil in das Zivilregister eingetragen. Diese Eintragung darf ihr nicht aufgrund ihres Geschlechts verweigert werden (S. 21). Diese Argumentation fundiert auf der Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ist über den chilenischen Kontext hinaus verallgemeinerbar, so dass abzuwarten bleibt, welche Folgen das Urteil in der Region haben wird.

Direkter Zugang zum Urteil (pjud.cl)