Feminizid

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Gender Law Newsletter FRI 2024#2, 01.06.2024 - Newsletter abonnieren

DEUTSCHLAND: STRAFRECHT

Gastbeitrag von Rebecca Rohm
Die folgenden Beobachtungen und Gedanken sind anlässlich einer feministischen Prozessbegleitung entstanden. Aus Rücksicht auf die Angehörigen ist der Sachverhalt weitestgehend anonymisiert.

Im August 2022 tötete ein Mann seine Partnerin. Ein knappes Jahr später wurde er dafür von einem deutschen Landgericht zu 13 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt. Diese Tötung war ein Feminizid, der jedoch im Prozess nie als solcher benannt wurde. Feminizid kann definiert werden als die Tötung einer weiblichen Person aufgrund geschlechtsspezifischer Ungleichwertigkeitsvorstellungen, insbesondere weil sie nicht den geschlechtsspezifischen Rollen- und Verhaltenserwartungen entspricht. Dieses patriarchalische Besitz- und Kontrolldenken wird insbesondere dann deutlich, wenn – wie in den meisten Fällen – der Täter der (ehemalige) Partner ist. So auch im eingangs beschriebenen Prozess. Im Folgenden sollen die vor Gericht verwendeten Argumente und Narrative dokumentiert und in einen größeren Kontext eingeordnet werden.

Die Narrative der Verhandlung

Die strukturell gewalttätige Beziehung des Täters zur Getöteten spielte eine zentrale Rolle. Im Laufe des Verfahrens wurde seine gewalttätige Vergangenheit, sowohl in Beziehungen als auch außerhalb, thematisiert, ohne jedoch daraus einen umfassenden Kontext für die verhandelte Tat herzustellen. Die Aussagen des Täters zur Tat und der Beziehung wurden als zentrales Beweismittel relativ unkritisch als wahr anerkannt, obwohl Zeug*innen in einigen Punkten widersprochen haben. Sowohl der Täter selbst als auch seine Verteidigung nutzten den Prozess, um die Getötete zu dämonisieren und als Mitverantwortliche darzustellen. Während des Prozesses wurden gängige Narrative bedient. Staatsanwaltschaft und Richter machten die Gegenwehr der Getöteten zum Auslöser der darauffolgenden Tötung und unterstellten ihr damit implizit Mitschuld an der Tat. Dabei dienten stets bürgerlich-normative Beziehungsvorstellungen als Maßstab, um das Verhalten der Getöteten zu moralisieren. Es ist nicht unüblich, dass patriarchale Besitzansprüche nicht als «niedere» Beweggründe anerkannt werden und Motive wie Eifersucht, Wut oder Trauer strafmildernd wirken. Die misogynen, d.h. menschenverachtenden Motive wurden nicht strafschärfend nach § 46 Absatz 2 StGB berücksichtigt, obwohl dies grundsätzlich möglich wäre. Danach kommt für die Strafzumessung explizit auch ein geschlechtsspezifisches Motiv in Betracht. Somit wurden selbst die schwachen juristischen Mittel zum Verhandeln eines Feminizids nicht ausgeschöpft.

Es ist absurd, dass die fortgesetzte Gewalttätigkeit des Täters während der Beziehung letztlich zu seinen Gunsten in die Bewertung der Tat einfloss – und diese deshalb als Totschlag und nicht als Mord verhandelt wurde (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Das Gericht ging davon aus, dass die Getötete nicht arglos gewesen sei und aufgrund der vorangegangenen Streitigkeiten und der bereits erlebten Gewalt mit weiteren Übergriffen des Täters habe rechnen müssen. Damit ignoriert das Gericht auch die strukturelle Ebene der Gewalt und versäumt es, die Tat als das einzuordnen, was sie ist: ein Feminizid.

Feminizide im deutschen Justizsystem

Damit reiht sich das Urteil in die patriarchale Normalität in Deutschland ein. Da es hierzulande keinen Straftatbestand gibt, der speziell geschlechtsbezogene Tötungen erfasst, geht es juristisch im Kern um die Frage, ob es sich um einen Totschlag (§ 212 StGB) oder einen Mord (§ 211 StGB) handelt. Für die Annahme eines Mordes, der mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird, müssen zur vorsätzlichen Tötung noch sog. Mordmerkmale hinzukommen. Hier kommen insbesondere die "niedrigen Beweggründe" in Betracht. Darunter wird ein subjektives Tatmotiv verstanden, das «nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verwerflich ist». Dabei lässt sich die Frage, wessen Moralvorstellung als die "allgemeine" verstanden wird im Kontext der Rechtsprechung zu Feminiziden schnell erkennen: So werden Fälle ungehemmter Eifersucht, krasser Rücksichtslosigkeit, Tötungen im Widerspruch zu konstitutiven gesellschaftlichen Wertentscheidungen oder das Absprechen des personalen Eigenwerts des Opfers als niedrig eingeordnet. Hier finden sich eigentlich zahlreiche Anknüpfungspunkte für Feminizide. Jedoch sieht der Bundesgerichtshof als oberstes deutsches Strafgericht dann keinen niedrigen Beweggrund, wenn es sich um "normalpsychologische Motivlagen" handelt, also Wut, Verärgerung, Hass oder Eifersucht. Weil es sich dabei um Gefühlszustände handele, die jedermann bekannt und menschlich grundsätzlich nachvollziehbar seien, sind die Anforderungen für die Annahme eines niedrigen Beweggrundes in diesen Fällen höher. Laut Bundesgerichtshof darf «gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden». Auch wenn es vereinzelt andere Tendenzen in der Rechtsprechung gibt, lässt sich leider feststellen, dass dieses Argumentationsmuster noch immer die "allgemeine sittliche Wertung" zu sein scheint.


Zum Abschluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Negation des personalen Eigenwerts der getöteten (Ex-) Partnerin doch in gewissen Fällen als niedriger Beweggrund anerkannt wird, nämlich in sogenannten "Ehrenmord"-Konstellationen. Auch wenn die individuellen Umstände und Unterschiede zu berücksichtigen sind, liegen doch auch hier Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit zugrunde, die mit jenen bei "Trennungstötungen" vergleichbar sind. Insofern bleibt die Rechtsprechung eine Erklärung schuldig, warum "Ehrenmorde" gegen die deutsche Werteordnung verstoßen, Feminizide (und konkret die Tötung von (Ex-)-Partnerinnen) hingegen "menschlich grundsätzlich nachvollziehbar" sein sollen.

Ein guter Blogbeitrag von Laura LEOGRANDE mit weiterführenden Quellen findet sich hier: https://forum-recht-online.de.