Diskriminierung beim Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neueinstufung von Lehrpersonen
Spendenbutton / Faire un don
Gender Law Newsletter FRI 2024#4, 01.12.2024 - Newsletter abonnieren
SCHWEIZ: GESCHLECHTERGLEICHSTELLUNG
Urteil des Bundesgerichts 1C_471/2023 vom 31. Juli 2024
Es ist diskriminierend, wenn eine rückwirkende Neueinstufung für Dozent*innen für Informatik, Kommunikation und Verwaltung an einer Berufsschule im Kanton Waadt, einem typischen Frauenberuf, im Gegensatz zu anderen Lehrpersonen einzig für die Zukunft zur Anwendung kommt (vgl. Art. 3 und 6 GlG).
Am 1. Dezember 2008 trat im Kanton Waadt eine neue Lohnpolitik in Kraft. In diesem Zusammenhang wurde die Beschwerdeführerin, Lehrerin für Informatik, Kommunikation und Verwaltung (IKV) an einer Berufsschule des Kantons, mit Wirkung vom 1. Dezember 2008 zunächst (wie die Lehrpersonen für Allgemeinbildung) in die Klasse 144, Stufe 10B, eingestuft.
Im Anschluss an ein von C., einer Lehrperson für Allgemeinbildung an nachobligatorischen Schulen, eingeleitetes Verfahren stufte der Kanton diese Lehrkräfte rückwirkend auf den 1. Dezember 2008 in die Klasse 145 ein.
In einem weiteren von D., einer IKV-Lehrperson, angestrengten Verfahren entschied das Kantonsgericht, dass Lehrpersonen für Informatik, Kommunikation und Verwaltung mit dem Inkrafttreten der Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) über die berufliche Grundbildung am 1. Januar 2012 wie andere Lehrpersonen für Allgemeinbildung in die Klasse 145 einzustufen sind (Urteil der Rekurskammer I vom 7. Februar 2019, HC/2019/145). Der Kanton hat diese Rechtsprechung auf alle betroffenen Lehrpersonen angewandt, aber im Gegensatz zu den Lehrpersonen für Allgemeinbildung die Lohnerhöhung nicht rückwirkend, sondern bloss für die Zukunft (per 1. Mai 2019) anerkannt.
Wie ein im Rahmen des von der Lehrperson D. eingeleiteten Verfahrens erstelltes Gutachten gezeigt hat, ist der Unterricht in Informatik, Kommunikation und Verwaltung an Berufsschulen ein typischer Frauenberuf, im Gegensatz zum Unterricht in der Allgemeinbildung, der gemischt und damit geschlechtsneutral ist.
Die automatische Anerkennung der Rückwirkung für alle Lehrkräfte für Allgemeinbildung, nicht aber für IKV-Lehrkräfte, ist damit vermutungsweise (Art. 6 GlG) diskriminierend in Verletzung von Art. 3 GlG.
Vorbehaltlich einer möglichen Verjährung gibt es keinen sachlichen Grund, der es erlauben würde, den IKV-Dozent*innen die Anerkennung von Rückständen zwischen 2012 und 2019 zu verweigern, unabhängig von der Einleitung eines individuellen Verfahrens.
Direkter Zugang zum Urteil (https://www.bger.ch)
Direkter Zugang zur Zusammenfassung des Urteils auf Französisch (http://www.leg.ch) und auf Italienisch (https:/sentenzeparita.ch)