Auch audiovisuelle Aufnahmen können belästigenden Charakter haben, soweit sie das Opfer zeitlich direkt erreichen

SCHWEIZ: SEXUELLE BELÄSTIGUNG

Bundesgericht, 4. November 2019 6B_69/2019

Die Äusserung, wonach eine Politikerin ihren politischen Erfolg sexuellen Gefälligkeiten gegenüber Politikern zu verdanken habe, ist eine Tatsachenbehauptung, die die Ehre der Strafklägerin verletzt und zum Gegenstand einer Wahrheitsprüfung gemacht werden kann. Auch audiovisuelle Aufnahmen können belästigenden Charakter haben, sofern das Opfer sie direkt wahrnimmt.

Eines der Lieder eines im September 2014 im Internet veröffentlichten Albums von Berner Rappern enthielt an eine SVP-Politikerin gerichtete Schimpfworte und Äusserungen sexuellen Inhalts.
Das erstinstanzliche Gericht hatte die Musiker bloss wegen Beschimpfung (Art. 177 StGB – Schweizerisches Strafgesetzbuch) verurteilt, das kantonale Obergericht wegen übler Nachrede (Art. 173 StGB). Das Bundesgericht weist die Sache an die Vorinstanz zurück, damit es abkläre, ob Verleumdung vorliegt (Art. 174 StGB). Die Äusserung, wonach eine Politikerin ihren politischen Erfolg sexuellen Gefälligkeiten gegenüber andern Politikern zu verdanken habe, ist eine Tatsachenbehauptung, d.h. die Strafverfolgungsbehörde hat abzuklären, ob die Unwahrheit der Behauptung objektiv nachgewiesen werden kann, womit die Täter nicht bloss wegen übler Nachrede, sondern wegen Verleumdung zu verurteilen wären.
Hingegen sprach auch das Bundesgericht die Musiker vom Vorwurf der sexuellen Belästigung (Art. 198 Abs. 2 StGB) frei. Zwar sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb eine sexuelle Belästigung nur eintreten solle, wenn das Opfer direkt physisch anwesend sei, nicht aber, wenn es die belästigenden Äusserungen über das Internet wahrnehme. Im konkreten Fall hätten sich die Angeklagten allerdings nicht direkt an die Strafklägerin gewandt, sondern an ein dieser gegenüber kritisch eingestelltes Publikum und in keinem Zeitpunkt seien Bemühungen unternommen worden, den Song bzw. das Video der Strafklägerin zukommen zu lassen. Diese habe davon erst eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung Kenntnis erhalten. Damit fehle es am Kriterium der unmittelbaren Wahrnehmung durch das Opfer.
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