Traditionelle Heimarbeit und Homeoffice in der Schweiz - ein Überblick

SCHWEIZ: HEIMARBEIT

2021

Beitrag von Rosemarie Weibel

Die schweizerische Gesetzgebung und -anwendung zur Heimarbeit ist einem traditionellen Verständnis der Heimarbeit als gewerbliche und industrielle Hand- und Maschinenarbeit zuhause verpflichtet. Die besonderen Regelungen für diese Heimarbeit seien der modernen Teleheimarbeit nicht angemessen bzw. nicht nötig.
Im schweizerischen Privatrecht, OR 351 wird Heimarbeit wie folgt definiert: «Durch den Heimarbeitsvertrag verpflichtet sich der Heimarbeitnehmer, in seiner Wohnung oder in einem andern, von ihm bestimmten Arbeitsraum allein oder mit Familienangehörigen Arbeiten im Lohn für den Arbeitgeber auszuführen.» Diese Definition entspricht somit im Grossen und Ganzen derjenigen der ILO (siehe den Beitrag dazu in diesem Newsletter).
Dass der Gesetzgeber damals die (vor)industrielle Heimarbeit im Sinne hatte, d.h. nicht die heutige Fernarbeit mittels Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, zeigt sich unter anderem im Heimarbeitsgesetz (HArG, SR 822.31) das ausdrücklich bloss für «gewerbliche und industrielle Hand- und Maschinenarbeit» gilt. Elemente sind insbesondere der Lohn, der sich nach den im eigenen Betrieb für gleichwertige Arbeit geltenden Ansätzen richten soll, Auslagenersatz, Gesundheitsschutz, die Arbeit soll so ausgegeben werden, dass Heimarbeitnehmer*innen täglich nicht mehr als acht Stunden und nicht an Sonntagen arbeiten müssen. Schliesslich hat die Arbeitgeber*in ein Verzeichnis der von beschäftigten Heimarbeitnehmer*innen zu führen und sich in das Arbeitgeber*innenregister der Vollzugsbehörden eintragen zu lassen, also ein Bemühen um Sichtbarmachen der Heimarbeit: Durchaus auch für die heutige Teleheimarbeit aktuelle Fragen.
Der Bundesbeschluss vom 12. Februar 1949 über die Förderung der Heimarbeit wurde per 1. Januar 2012 aufgehoben. Er war seinerzeit «im Rahmen der Massnahmen zur Verhütung der Armengenössigkeit und zum Schutze der Familie sowie zur Bekämpfung der Gebirgsentvölkerung» eingeführt worden (vgl. Botschaft zur Aufhebung des Bundesbeschlusses über die Förderung der Heimarbeit vom 2. Dezember 2010). Inzwischen sei die Nachfrage nach Heimarbeitskräften gesunken, und die Tätigkeit habe als Existenzsicherung an Bedeutung verloren (mehr dazu: parlament.ch - Förderung der Heimarbeit. Aufhebung).
Hingegen hat in der Schweiz Teleheimarbeit in rund zwanzig Jahren beständig an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile leistet gemäss Bundesamt für Statistik ein Viertel aller Erwerbstätigen zumindest gelegentlich Teleheimarbeit. Diejenigen, die während mehr als 50% der Arbeitszeit Teleheimarbeit leisten, sind nach wie vor in der Minderheit, wenn auch ihr Anteil ständig steigt:  2001 belief er sich auf weniger als 1%, 2019 auf 3% und 2020 auf 4,3%.
Die rechtliche Regelung der Teleheimarbeit richtet sich nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen: 2016 erstellte der Bundesrat infolge des Postulates 12.3166 Meier-Schatz einen Bericht über Rechtliche Folgen der Telearbeit: Der Bericht behandelt ein weites Spektrum der sich stellenden Fragen, von der allfälligen Freiwilligkeit über den Status der Teleheimarbeit (selbständig/unselbständig), Arbeitszeit, Lohn und Ferien, Auslagenersatz, Persönlichkeits- und Datenschutz, Kontrolle, Haftung für Schäden bis hin zu Sozialversicherungen, Steuerrecht und internationalen Sachverhalten. Die so verstandene und besprochene Telearbeit betrifft oft Wissensarbeiter*innen, darunter meist qualifizierte Arbeitskräfte und weist einen weniger hohen Frauenanteil auf.
Der Bundesrat hält abschliessend unter anderem fest: «Was den rechtlichen Rahmen betrifft, lassen sich die neuen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Telearbeit grundsätzlich mit den allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen beantworten. Eine Frage stellt sich hingegen in Bezug auf die bestehende Gesetzgebung zur Heimarbeit: Es wäre prüfenswert, ob nicht diese besondere Gesetzgebung oder zumindest einzelne Bestimmungen daraus auf die Telearbeit ausgedehnt werden sollten.»
Seit Frühjahr 2020 hat Heimarbeit vor allem in der Form des Homeoffice an Aktualität zugenommen und eine Suche auf der Webseite des Schweizer Parlaments (www.parlament.ch) nach Stichwörtern wie Homeoffice und Tele(heim)arbeit zeigt, dass sie Thema zahlreicher parlamentarischer Vorstösse wurde. Dabei geht es vor allem um Förderung von Homeoffice, Gesundheitsschutz, Auswirkungen auf Arbeitswelt und Verkehr, Besteuerung und steuerliche Behandlung, «Recht auf Abschalten».
Eine Broschüre des Staatssekretariates für Wirtschaft SECO dokumentiert aus arbeitsgesetzlicher Perspektive die wichtigsten Regeln und Problempunkte im Homeoffice: Arbeiten zu Hause - Homeoffice. Einen kurz und bündig gefassten Überblick sowohl in rechtlicher als auch in gesundheitlicher Hinsicht (Ergonomie, psychosoziale Risiken) bietet unter anderen auch das Tessiner Arbeitsinspektorat: Consigli pratici per attuare l’Home office - Come organizzarsi a domicilio? Telelavoro
Was die Rechtsprechung der letzten 20 Jahre anbelangt, hat das Bundesgericht in BGer 4A_533/2018 vom 23. April 2019 festgehalten, dass wo die Arbeitgeber*in keinen geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und also die Angestellte zuhause arbeitet, die entsprechenden Auslagen analog zur Nutzung eines Privatfahrzeuges zu geschäftlichen Zwecken gemäss Art. 327 ff. OR anteilsmässig zu ersetzen sind, d.h. auch wenn das Arbeitszimmer nicht speziell hinzugemietet wurde.
Ausführlich setzt sich das Bundesgericht in BGE 132 V 181 mit dem Begriff der Heimarbeit auseinander mit Bezug auf die Arbeit einer Tagesmutter. Die Frage ist interessant mit Bezug auf die Vermittlungsfähigkeit bei Arbeitslosigkeit (Art. 14 AVIV), weil Versicherte, die vor ihrer Arbeitslosigkeit als Heimarbeitnehmer*innen beschäftigt waren, auch dann als vermittlungsfähig gelten, wenn sie nachweislich aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse nicht in der Lage sind, eine ausserhäusliche Arbeit anzunehmen. Das Bundesgericht befand, die Tätigkeit einer Tagesmutter falle nicht unter den Begriff der – traditionell interpretierten - Heimarbeit, insbesondere weil bei der Heimarbeit ein Arbeitsergebnis geschuldet sei und nicht bloss das Leisten von Arbeit. Hinzu komme, «dass das Arbeitsergebnis (Gegenstand, Ware, Text usw.) durch den Arbeitgeber weiter wirtschaftlich verwendet resp. verwertet wird, in der eigenen Produktion oder direkt auf dem Markt. Dieses Merkmal fehlt bei der Kinderbetreuung gänzlich» (Erwägung 2.2).
Heimarbeit findet auch in einem IV-Fall Erwähnung (BGE 141 V 385 vom 11. Juni 2015), wo es um die Statusfrage ging, d.h. ob eine Versicherte im Gesundheitsfall auch nach der Geburt der Kinder erwerbstätig wäre und falls ja, in welchem Umfang. Die Versicherte hatte dazu ausgeführt, sie würde «gleich wie ihre Schwester vorgehen, welche drei Kinder habe und bei der C. SA ebenfalls voll arbeitstätig sei. So würde sie am Abend, während der Ehemann die Kinderbetreuung übernehme, ausser Haus arbeiten und den Rest würde sie in Heimarbeit erledigen». Das Bundesgericht schützte diese Argumentation und anerkannte den Erwerbstätigenstatus dieser Mutter eines pflegeintensiven Sohnes.
Fragen stellen sich auch bei Grenzgänger*innen, die zum Teil im Homeoffice und zum Teil in den Räumlichkeiten der Arbeitgeber*in tätig sind. Gemäss dem (diesbezüglich speziellen) Doppelbesteuerungsübereinkommen Schweiz-Liechtenstein, behalten Arbeitnehmer*innen den Grenzgänger*innen-Status (und werden somit voll von FL besteuert), auch wenn seine/ihre Vollzeitstelle 40% Heimarbeit beinhaltet (BGer 2C_215/2009 vom 1. Oktober 2009).
Was in der Diskussion in der Schweiz soweit ersichtlich bisher kaum Aufmerksamkeit erhalten hat sind die von der ILO herausgearbeiteten Risiken der Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Heimarbeiter*innen gegenüber auch örtlich stärker in der Firma eingebundenen Angestellten: Niedrigere Löhne (auch bei höher ausgebildeten Heimarbeiter*innen, informelle und damit rechtlich kaum abgesicherte Arbeit, der oft vernachlässigte Zugang zu Weiterbildung und damit verbunden beruflicher Karriere sowie die Schwierigkeit gewerkschaftlicher Arbeit und damit gemeinschaftlicher Interessenswahrung – Risiken, die gerade Frauen bekanntlich besonders treffen und die genau das Heimarbeitsgesetz zumindest ansatzweise zu reduzieren versuchte, zum Beispiel mit einer Bestimmung über gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit (Art. 4), über die zeitliche Begrenzung der Ausgabe und Annahme von Heimarbeit (Art. 7), die Pflicht zur Führung eines Verzeichnisses der Heimarbeitnehmenden (Art. 10).