Il diritto femminile – riflessione collettiva nel numero 4/2022 di Questione giustizia

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ITALIEN: FRAUENRECHT

2022

Die vorliegende Nummer von Questione Giustizia, Trimestrale promosso da Magistratura democratica, enthält eine kollektive Reflektion zum Thema Frauenrecht – diritto femminile.

Der Ruf der Iranianer*innen «Frau, Leben, Freiheit», ist ein universeller Ruf, der sich Frauen aller Welt zu eigen machen könnten - so das Editorial La libertà e la vitalità delle donne: i dinieghi, i contrasti, le insidie.
In seiner Introduzione al diritto femminile, führt Fabrizio Filice aus: «Mit dieser Ausgabe der Vierteljahresschrift versuchen wir […omissis…] zu zeigen, dass die sexuelle (aber auch die von Rasse und Zensus unabhängige) Neutralität des zeitgenössischen westlichen Rechts eher eine Tautologie als eine Realität ist. Eine Öffnung der Grenzen der juristischen Argumentation könnte stattdessen den Zugang zu einer anderen, universellen Perspektive ermöglichen, die eng mit dem Konzept der Verbindung und der unbedingten Verpflichtung gegenüber Körpern, allen Körpern, die diese Erde im Hier und Jetzt bewohnen, verbunden ist. Eine Perspektive, die wir in einem bedeutenden Teil des philosophischen und juristischen Denkens, das im Kontext der Gender Studies gereift ist, wiederfinden (aber sowohl von theoretischen als auch praktischen Juristen systematisch ignoriert wird). Und die eine wertvolle Gelegenheit für eine neue Grundlage der Menschenrechte darstellen kann, damit sie wirklich zu einem konkret umsetzbaren und wirksamen Instrument im Kampf gegen die wachsenden Ungleichheiten und die daraus resultierenden Bereiche der Verletzlichkeit werden
Iolanda Poma widmet ihren Beitrag La dismisura della giustizia: ripensare i diritti con Simone Weil denn auch Simone Weil’s Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber. Die Rechte einer Person beziehen sich immer auf das Individuum, das sie aufgrund dessen einfordern kann, was ihm gehört. D.h. das Recht unterscheidet zwischen denen, die es besitzen, und denen, die es nicht besitzen. Die Pflicht dagegen «geht über das persönliche Subjekt hinaus und verweist auf eine unpersönliche Sphäre des Selbst, die dem persönlichen Subjekt vorausgeht oder jenseits von ihm liegt und zu der man durch reine Aufmerksamkeit Zugang hat, was sich in einer Praxis niederschlägt, die darauf ausgerichtet ist, auf die Bedürfnisse der anderen Menschen einzugehen».
In Le persecuzioni nei confronti delle donne e il sistema di protezione internazionale: quale Paese può dirsi “sicuro” per le donne? erkundet Ilaria Boiano das analytische Potenzial des Rechtsfeminismus. Sie analysiert, wie und wie weit Verfolgung wegen des Geschlechts unter die Genfer Flüchtlingskonvention fällt. Dabei stellt sie fest, wie die Definition der Genfer Flüchtlingskonvention von einer stark individualistischen Perspektive ausgeht, die den Erfahrungen der Frauen in einem auf der Geschlechterhierarchie basierenden sozialen und juristischen System nicht Rechnung trägt. Es braucht daher eine Interpretationsarbeit aus einer Geschlechterperspektive, die sie anhand des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Konventionen darlegt. Gleichzeitig thematisiert sie die paternalistische Antwort des Staates, der Frauen «rettet», d.h. vor allem diejenigen schützt, die als stimmlos, passiv und besonders verletzlich wahrgenommen werden (siehe zu diesem Thema auch das Buch von Enrica Riga).
Verschiedene Beiträge der Zeitschrift sind dem Strafrecht gewidmet, genauer den Gewaltsdelikten gegenüber Frauen und dem ihnen zugrunde liegende Frauenhass.
In Genere e diritto penale. Il crimine d’odio misogino geht Luciana Goisis z.B. der Frage nach, wie das internationale und das italienische Recht Delikte gegen Frauen behandelt, die gegen Frauen gerichtet sind, weil sie Frauen sind (gender hate crimes). Würde z.B. ein spezieller Straftatbestand «Feminizid» Sinn machen, um der von der Istanbulkonvention vorgeschriebenen Geschlechterperspektive gerecht zu werden, oder eher die Einführung von Mysogynie als strafverschärfendem Beweggrund?
Maria Montaleone in L’insostenibile «inadeguatezza» del contrasto giudiziario alla violenza di genere geht den Gründen nach, weshalb der Schutz von Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt, auch wenn sie Anzeige erstatten, oftmals versagt: In Italien hat eine Untersuchungskommission zu Feminiziden gezeigt, dass oftmals die inter-institutionalle Zusammenarbeit nicht funktioniert und es einer Spezialisierung der zuständigen Behörden bedarf, damit gerade häusliche Gewalt nicht bagatellisiert wird.
In Il ragionamento giuridico stereotipato nell’assunzione e nella valutazione della prova dibattimentale zeigt Elisabetta Canevini eindrücklich auf, was für eine korrekte Behandlung von Anzeigen wegen Sexualdelikten und geschlechtsspezifischer Gewalt zu berücksichtigen ist und wie wichtig dabei ein technisch korrektes Vorgehen sowie ständige Weiterbildung und praktische Spezialisierung sind, damit Befragende die eigene «Normalität» nicht mit derjenigen eines emotional gebundenen Opfers monate- oder jahrelanger Misshandlung verwechseln.
Besonders interessant auch der Beitrag von Paola Di Nicola Travaglini zur Notwehr: Il diritto penale non è un diritto per le donne: il caso della legittima difesa. Wenn eine Frau ihren Mann vielleicht nach jahrenlanger Misshandlung im Schlaf umbringt, wird dies nicht als Notwehr betrachtet, sondern vielleicht gar als (strafverschärfender) Racheakt. Schliesslich ist die Vorstellung von Notwehr die eines Aufeinanderprallens von Gleichen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass häusliche Gewalt sozusagen ein Fortsetzungsdelikt ist: Die Unmittelbarkeit des Angriffs und die Angemessenheit der Abwehr müssen im Gesamtzusammenhang und unter Berücksichtigung der strukturellen Ungliechheiten gesehen werden. Identität und Würde der Täterin wurden während Monaten und Jahren verletzt und vernichtet, das Opfer hat den Hausschlüssel, vor allem wo Kinder vorhanden sind befindet sie sich auch in einem Konflikt, usw.
Auch bei Vergewaltigungen sind bei Untersuchungs- und Gerichtsbehörden oft noch Stereotype und Mythen vorhanden, die dazu führen, dass das Motiv für das deliktische Verhalten des Täters beim Opfer gesucht wird und der geschlechtsspezifische Beweggrund vergessen geht, was eine Sekundärviktimisation der verletzten Person nach sich zieht. (Eleonora Volta: Un ascolto parziale: il lavoro ideologico die miti di stupro in aula di giustizia).
Claudia Pecorella und Massimiliano Dova untersuchen die Geschlechtervariable in Strafverfahren und stellen signifikante Differenzen zwischen Männern und Frauen fest, sowohl was die Typologie der begangenen Straftaten betrifft als auch mit Bezug auf den sozialen Kontext und das Profil der Angeklagten: Donne e uomini davanti alla giustizia penale: un’indagine empirica presso il Tribunale di Milano. Sie führen aus, dass die Geschlechtervariable z.B. bei der Teilnahme an Delikten, d.h. der Rolle von Frauen bei von andern (meist ein Mann oder eine andere Person, zu der eine emotionale Bindung besteht) ausgeübten Straftaten, kaum Berücksichtigung findet.
Bezüglich Frauen im Arbeitsmarkt siehe den Beitrag in dieser Newsletter: Discriminazioni delle donne nel mercato del lavoro.
In einem weiteren Artikel zeigen Susanna Pozzoli und Giacomo Viggiani ausgehend vom Urteil Dobbs v. Jackson Women’s Health Organisation des USA-Verfassungsgerichtshofes auf, wie der Prozess der Kontrolle über den weiblichen Körper und die  Fortpflanzung der Menschheit eine biopolitische Technik ist, eine Modalität, deren Motive sich als kulturell, markt- und gesellschaftsbedingt herausstellen, auch wenn versucht wird, sie durch die angebliche Natur der Frau selbst zu rechtfertigen. Come gamberi spaventati. Un balzo indietro di cent’anni nell’affermazione dell’uguaglianza e dei diritti delle donne.
Schliesslich schlägt Enrica Rigo wie Seyla Benhabib eine Revision des Konzepts der Staatsbürgerschaft vor: Cittadinanza, sangue e patriarcato, note per una critica femminista.
 
Direkter Zugang zur Zeitschrift: questionegiustizia.it, Fascicolo 4/2022

Gender Law Newsletter FRI 2023#2, 01.06.2023 - Newsletter abonnieren