Der CEDAW-Leitfaden: Nützliches und Wissenswertes für die Rechtspraxis
WELT (CEDAW): ANWENDUNG IN DER PRAXIS
Von Erika Schläppi
Der Online-Leitfaden der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen ist eine innovative Art, die Rechtspraktiker*innen zu motivieren und darin zu unterstützen, das Potential des Übereinkommens gegen Frauendiskriminierung CEDAW auch in der Schweiz für die Gleichstellung von Frauen* und Männern* zu nutzen.
Das CEDAW-Übereinkommen von 1979 gehört zu den universellen Übereinkommen, die am meisten Vertragsstaaten zählen, darunter seit 1997 auch die Schweiz. Das Übereinkommen schützt Frauen* vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes und präzisiert, was unter Diskriminierung zu verstehen ist. Vertragsstaaten verpflichten sich mit der Ratifizierung zur Achtung des Diskriminierungsverbotes und zu einer Politik der Bekämpfung von Diskriminierung in allen Lebensbereichen. Das Übereinkommen konkretisiert diese Verpflichtungen für verschiedene Lebensbereiche, so etwa für das öffentliche Leben, Bildung, Gesundheit, Arbeit und Beruf, Ehe und Familie.
Die Behörden der Vertragsstaaten sind, wie dies für internationale Übereinkommen üblich ist, für die Umsetzung der Bestimmungen verantwortlich. Die Vertragsstaaten müssen wirksame Massnahmen gegen Diskriminierungen ergreifen, geniessen aber in der Wahl der Massnahmen grosses Ermessen. Das Übereinkommen setzt einen internationalen Ausschuss aus Expert*innen ein, der die Fortschritte in den einzelnen Staaten vor allem anhand von Berichten der Vertragsstaaten prüft. Viele Bestimmungen des Übereinkommens und die daraus folgenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten haben in der Praxis des Ausschusses zunehmend klarere Konturen gewonnen. Die Allgemeinen Empfehlungen («General Recommendations») zu einzelnen Bestimmungen, die Abschliessenden Bemerkungen («Concluding Observations») zu den Staatenberichten und die Ansichten («Views») zu individuellen Beschwerden an den Ausschuss zeigen, welche konkreten Dimensionen das internationale Diskriminierungsverbot in den unterschiedlichen Kontexten der Vertragsstaaten heute hat.
Das Übereinkommen CEDAW ist wie alle völkerrechtlichen Übereinkommen mit der Ratifizierung Teil der Schweizer Rechtsordnung geworden. Die Verletzung der CEDAW-Ansprüche kann vor dem Kontrollausschuss gerügt werden. Auch wenn die Urteile des Ausschusses («Views») im Beschwerdeverfahren rechtlich nicht als bindend gelten, sind die CEDAW-Bestimmungen für alle Behörden in der Schweiz, also auch für die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung verbindlich. So hat das Bundesgericht etwa ausdrücklich festgehalten, dass den kantonalen Gesetzgebungsbehörden Handlungspflichten zur Förderung der Gleichstellung von Frau* und Mann* erwachsen, die aus Art. 8 Abs. 3 BV und dem Übereinkommen CEDAW abzuleiten sind (BGE 137 I 305). Das Bundesgericht hat bis jetzt aus dem Übereinkommen aber keine direkt anwendbaren Rechte abgeleitet – eine Praxis, die vom CEDAW-Ausschuss und in der Literatur kritisiert wurde. Von ebenso grosser Bedeutung ist allerdings der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung: schweizerische Normen, zum Beispiel das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot, familienrechtliche Bestimmungen oder Bestimmungen des Gleichstellungsgesetzes müssen völkerrechtskonform ausgelegt werden. Damit öffnet sich ein Feld von Möglichkeiten, die Bestimmungen des CEDAW-Übereinkommens (und anderer Übereinkommen) für die Gleichstellung der Geschlechter zu nutzen. Zum Beispiel ist es aus der Perspektive von Art. 4 CEDAW zweifellos zulässig und sogar geboten, Quotenregelungen im Erwerbsleben einzuführen.
Für die Rechtsanwendung bedeutet dies, dass unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln im Lichte der CEDAW-Bestimmungen ausgelegt werden müssen. Das CEDAW-Übereinkommen kann so die rechtliche Argumentation im Sinne der Gleichstellung in vielen Bereichen ergänzen und stärken. Sollen Ansprüche im Einzelfall direkt oder indirekt auf das Übereinkommen gestützt werden, bedarf dies sicher sorgfältiger Begründung vor den schweizerischen Gerichten und Behörden. Zudem gilt im individuellen Beschwerdeverfahren («Mitteilung») vor dem CEDAW-Ausschuss eine Rügepflicht. Sie macht es unabdinglich, sich in schweizerischen Verfahren ergänzend zu schweizerischen Normen (zum Beispiel zu Art. 8 BV oder zum Gleichstellungsgesetz) auch direkt auf die Bestimmungen des Übereinkommens zu stützen, wenn eine Mitteilung an den CEDAW-Ausschuss Erfolg haben soll.
Das CEDAW-Übereinkommen ist in der Schweiz allerdings wenig bekannt und sein Potential wird in der Rechtspraxis kaum genutzt. Hier setzt der CEDAW-Leitfaden an, der von einer Gruppe von Rechtsexpertinnen im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen entwickelt worden ist. Der online verfügbare Leitfaden hat es sich zum Ziel gesetzt, das Potential des Übereinkommens für eine stärkere Beachtung gleichstellungsrechtlicher Argumente in der Rechtspraxis sichtbar zu machen. Der Leitfaden will die Praktikerinnen und Praktiker darin unterstützten, das Übereinkommen CEDAW und sein internationales Mitteilungsverfahren kennenzulernen und zu erkennen, wie sie es in ihrer eigenen Arbeit nützen können. Er bereitet wichtige Dokumente und Informationen für Anwält*innen, Richter*innen und für Rechtsberatungsstellen bedarfsgerecht auf – für alle, die sich mit rechtlichen Fragen rund um die Geschlechtergleichstellung befassen.
Der Leitfaden ist seit 2014 auf der Webseite der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen aufgeschaltet und wird regelmässig – letztmals im Sommer 2019 – aktualisiert. In sechs Teilen werden das Übereinkommen, der internationale Überwachungsmechanismus und die Arbeit des CEDAW-Ausschusses, die Geltung und Anwendung der CEDAW-Bestimmungen in der Schweizer Rechtspraxis und das Mitteilungsverfahren (Beschwerdeverfahren) vor dem Ausschuss vorgestellt. Kernstück und Innovation des Leitfadens sind die Modellbeispiele, welche die konkrete Argumentation mit dem CEDAW-Übereinkommen zu aktuellen Fragen zeigen. Die Beispiele zum Erwerbsleben, Sozialversicherungen, Ehe- und Familienrecht, häuslicher Gewalt, Ausländer*innenrecht und Frauen*handel sollen Praktiker*innen motivieren und sie ganz pragmatisch darin unterstützen, in ihrer rechtlichen Argumentation auch die Bestimmungen des CEDAW-Übereinkommens einzubeziehen. Es bleibt zu hoffen, dass damit die Dimension der Geschlechtergleichstellung im juristischen Alltag präsenter und greifbarer wird.
Der CEDAW-Leitfaden für die Rechtspraxis wurde von der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen herausgegeben.
Direkt zum Leitfaden (ekf.admin.ch)
Die Behörden der Vertragsstaaten sind, wie dies für internationale Übereinkommen üblich ist, für die Umsetzung der Bestimmungen verantwortlich. Die Vertragsstaaten müssen wirksame Massnahmen gegen Diskriminierungen ergreifen, geniessen aber in der Wahl der Massnahmen grosses Ermessen. Das Übereinkommen setzt einen internationalen Ausschuss aus Expert*innen ein, der die Fortschritte in den einzelnen Staaten vor allem anhand von Berichten der Vertragsstaaten prüft. Viele Bestimmungen des Übereinkommens und die daraus folgenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten haben in der Praxis des Ausschusses zunehmend klarere Konturen gewonnen. Die Allgemeinen Empfehlungen («General Recommendations») zu einzelnen Bestimmungen, die Abschliessenden Bemerkungen («Concluding Observations») zu den Staatenberichten und die Ansichten («Views») zu individuellen Beschwerden an den Ausschuss zeigen, welche konkreten Dimensionen das internationale Diskriminierungsverbot in den unterschiedlichen Kontexten der Vertragsstaaten heute hat.
Das Übereinkommen CEDAW ist wie alle völkerrechtlichen Übereinkommen mit der Ratifizierung Teil der Schweizer Rechtsordnung geworden. Die Verletzung der CEDAW-Ansprüche kann vor dem Kontrollausschuss gerügt werden. Auch wenn die Urteile des Ausschusses («Views») im Beschwerdeverfahren rechtlich nicht als bindend gelten, sind die CEDAW-Bestimmungen für alle Behörden in der Schweiz, also auch für die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung verbindlich. So hat das Bundesgericht etwa ausdrücklich festgehalten, dass den kantonalen Gesetzgebungsbehörden Handlungspflichten zur Förderung der Gleichstellung von Frau* und Mann* erwachsen, die aus Art. 8 Abs. 3 BV und dem Übereinkommen CEDAW abzuleiten sind (BGE 137 I 305). Das Bundesgericht hat bis jetzt aus dem Übereinkommen aber keine direkt anwendbaren Rechte abgeleitet – eine Praxis, die vom CEDAW-Ausschuss und in der Literatur kritisiert wurde. Von ebenso grosser Bedeutung ist allerdings der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung: schweizerische Normen, zum Beispiel das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot, familienrechtliche Bestimmungen oder Bestimmungen des Gleichstellungsgesetzes müssen völkerrechtskonform ausgelegt werden. Damit öffnet sich ein Feld von Möglichkeiten, die Bestimmungen des CEDAW-Übereinkommens (und anderer Übereinkommen) für die Gleichstellung der Geschlechter zu nutzen. Zum Beispiel ist es aus der Perspektive von Art. 4 CEDAW zweifellos zulässig und sogar geboten, Quotenregelungen im Erwerbsleben einzuführen.
Für die Rechtsanwendung bedeutet dies, dass unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln im Lichte der CEDAW-Bestimmungen ausgelegt werden müssen. Das CEDAW-Übereinkommen kann so die rechtliche Argumentation im Sinne der Gleichstellung in vielen Bereichen ergänzen und stärken. Sollen Ansprüche im Einzelfall direkt oder indirekt auf das Übereinkommen gestützt werden, bedarf dies sicher sorgfältiger Begründung vor den schweizerischen Gerichten und Behörden. Zudem gilt im individuellen Beschwerdeverfahren («Mitteilung») vor dem CEDAW-Ausschuss eine Rügepflicht. Sie macht es unabdinglich, sich in schweizerischen Verfahren ergänzend zu schweizerischen Normen (zum Beispiel zu Art. 8 BV oder zum Gleichstellungsgesetz) auch direkt auf die Bestimmungen des Übereinkommens zu stützen, wenn eine Mitteilung an den CEDAW-Ausschuss Erfolg haben soll.
Das CEDAW-Übereinkommen ist in der Schweiz allerdings wenig bekannt und sein Potential wird in der Rechtspraxis kaum genutzt. Hier setzt der CEDAW-Leitfaden an, der von einer Gruppe von Rechtsexpertinnen im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen entwickelt worden ist. Der online verfügbare Leitfaden hat es sich zum Ziel gesetzt, das Potential des Übereinkommens für eine stärkere Beachtung gleichstellungsrechtlicher Argumente in der Rechtspraxis sichtbar zu machen. Der Leitfaden will die Praktikerinnen und Praktiker darin unterstützten, das Übereinkommen CEDAW und sein internationales Mitteilungsverfahren kennenzulernen und zu erkennen, wie sie es in ihrer eigenen Arbeit nützen können. Er bereitet wichtige Dokumente und Informationen für Anwält*innen, Richter*innen und für Rechtsberatungsstellen bedarfsgerecht auf – für alle, die sich mit rechtlichen Fragen rund um die Geschlechtergleichstellung befassen.
Der Leitfaden ist seit 2014 auf der Webseite der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen aufgeschaltet und wird regelmässig – letztmals im Sommer 2019 – aktualisiert. In sechs Teilen werden das Übereinkommen, der internationale Überwachungsmechanismus und die Arbeit des CEDAW-Ausschusses, die Geltung und Anwendung der CEDAW-Bestimmungen in der Schweizer Rechtspraxis und das Mitteilungsverfahren (Beschwerdeverfahren) vor dem Ausschuss vorgestellt. Kernstück und Innovation des Leitfadens sind die Modellbeispiele, welche die konkrete Argumentation mit dem CEDAW-Übereinkommen zu aktuellen Fragen zeigen. Die Beispiele zum Erwerbsleben, Sozialversicherungen, Ehe- und Familienrecht, häuslicher Gewalt, Ausländer*innenrecht und Frauen*handel sollen Praktiker*innen motivieren und sie ganz pragmatisch darin unterstützen, in ihrer rechtlichen Argumentation auch die Bestimmungen des CEDAW-Übereinkommens einzubeziehen. Es bleibt zu hoffen, dass damit die Dimension der Geschlechtergleichstellung im juristischen Alltag präsenter und greifbarer wird.
Der CEDAW-Leitfaden für die Rechtspraxis wurde von der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen herausgegeben.
Direkt zum Leitfaden (ekf.admin.ch)