Balanceakt mit Zwiespalt

WORLD: WOMEN'S RIGHTS

2020

CEDAW, General recommendation No. 38 (2020) on trafficking in women and girls in the context of global migration, CEDAW/C/GC/38, November 2020.

Gastbeitrag von Nina Lanzi, Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ)

Der Artikel 6 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) legt als rechtliche Verpflichtung der Vertragsstaaten fest, dass diese «all appropriate measures, including legislation, to suppress all forms of traffic in women and exploitation of prostitution of women» ergreifen müssen. Als Orientierungshilfe zur Umsetzung des Artikels 6 zu Frauenhandel wurden während der letzten zwei Jahre die General Recommendations (GR) Nr. 38 von CEDAW entwickelt. Die FIZ und viele weltweite NetzwerkpartnerInnen haben sich an diesem Konsultations- und Beratungsprozess beteiligt (1). Mithilfe ihrer Erfahrungen aus der direkten Unterstützungsarbeit für Betroffene von Frauenhandel sowie der Beratung für migrantische Frauen, die im Sexgewerbe tätig sind, war die FIZ bestrebt, das elementare internationale Grundlagenwerk und Advocacy-Tool inhaltlich mitzugestalten. Die finale Version wurde im November 2020 veröffentlicht. Manche erachten es – diplomatisch ausgedrückt – als einen gelungenen Balanceakt verschiedenster Interessen und AkteurInnen. Das mag sein. Weshalb es sich aber um ein zwiespältiges Produkt mit Vorbehalten handelt, zeigt die folgende Kurzanalyse:
Auf der einen Seite tragen die GR der Tatsache einer postmigrantischen Welt Rechnung, in der für Frauen und Mädchen sichere Migrationsmöglichkeiten, der Zugang zu umfassendem Opferschutz für Betroffene von Menschenhandel – gerade auch im Asylbereich –, soziale Sicherheit, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Rechtschutz sowie Rechtshilfe elementar sind. Zudem betonen die Empfehlungen auch, dass es mehr Arbeiterinnenschutz sowie Arbeitskontrollen im informellen Sektor braucht. Viele wichtige Anliegen der Zivilgesellschaft wurden aufgenommen, die einen umfassenden Opferschutz und zentrale Elemente einer effektiven Bekämpfung von Frauenhandel beinhalten. Es ist in vielerlei Hinsicht ein progressives Dokument, welches in der fortwährenden Advocacy-Arbeit für mehr Opferschutz für alle Betroffenen von Frauenhandel verwendet werden sollte.
Beim Thema der Sexarbeit sind die Empfehlungen Nr. 38 von CEDAW aber ein rückständiges, verfehltes Instrument. Exemplarisch dafür steht ein Treffen der ExpertInnengruppe im Dezember 2018 am UNO Hauptsitz in Genf, an dem VertreterInnen verschiedener NGOs teilnahmen und ihre Interessen mündlich einbringen konnten. Damals vertraten unter anderem CEDAW-ExpertInnen den Standpunkt, dass es für eine effektive Bekämpfung von Frauenhandel im Sexgewerbe eine Kriminalisierung auf Konsumentenseite (via ‚discouraging demand that fosters exploitation‘) geben müsste. Diese Regelung ist auch bekannt als das «Nordische Modell», bei dem der Kauf von sexuellen Dienstleistungen – also die Nachfrage/‘Demand‘ – verboten ist. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass in der Sexarbeit Selbstbestimmung nicht existiere bzw. Zwang und Ausbeutung allgegenwärtig sei. Die fehlende Unterscheidung von Menschenhandel und Prostitution, die dieser Ideologie innewohnt, ist für beide betroffenen Gruppen fatal. Denn sie brauchen unterschiedliche Massnahmen zu ihrer Stärkung: Schutz und Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel und gute und faire Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen.
Im Saal der UNO sassen gleichzeitig Sexarbeitende und Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeitenden einsetzen, unter anderem auch die FIZ. Sie kamen aus Italien, Indien, Thailand, Russland oder England. Viele Sexarbeitende erhoben die Stimme und betonten in eindrücklichen Reden: «Wir sind keine Opfer. Wir brauchen Rechte. Ein Verbot schadet uns.» Ihre Stimmen wurden sowohl beim Treffen in Genf als auch bei den Empfehlungen zur Umsetzung des Artikels 6 der CEDAW schlicht übergangen. Auch in den beiden Runden der schriftlichen Konsultation zum Entwurf der GR gab es unzählige Beiträge von Organisationen und Fachpersonen, die sich für die Rechte von Sexarbeitenden engagieren und gegen eine Prädominanz des Demand-Faktors in den GR eingesetzt haben. Auch hier wurden sie nicht gehört.
Die Ausarbeitung der GR ist im Hinblick auf die Rechte von Sexarbeitenden eine verpasste Chance, deren Wirkung in mehrfacher Hinsicht gravierend ist (Power to Empower, Anerkennung der Sexarbeit als Arbeit etc.). Vor allem aber ist es eine Auslegung der Frauenrechtskonvention gegen all jene Frauen, die eine Stärkung ihrer Rechte bezüglich Selbstbestimmung und Diskriminierungsschutz besonders dringend brauchen. Mit dem Fokus auf ‚Demand‘ wird zudem von den eigentlichen Ursachen von Frauenhandel abgelenkt, wie prekäre Migrations- und Arbeitsbedingungen, Armut, Sexismus, globale Ungleichheit, sowie vom florierenden Frauenhandel in anderen Branchen. Dies hinterlässt einen schalen Nachgeschmack und hindert zudem daran, diesem politischen Instrument künftig die erhoffte Bedeutung und Beachtung in der Advocacy-Arbeit zu verleihen.

 

(1) Siehe dazu z.B. «Written Comments of FIZ on the Draft General Recommendation on trafficking in women and girls in the context of global migration of the CEDAW Committee», Mai 2020.
 

Direct link to the general recommendation (docstore.ohchr.org)