Zwischen Realpolitik und Utopie: Juristische Konstruktionen von Familienbildern
Panel im Rahmen der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung SGGF
11.-13. September 2014
Basel
An dieser Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechterforschung SGGF zum Thema «¡¿Familie?! Umstrittene Konzepte, Politiken und Praxen» hat sich das FRI mit einem Panel "Zwischen Realpolitik und Utopie: Juristische Konstruktionen von Familienbildern", beteiligt, um weiterzudenken an den Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht (siehe dazu: Keine Zeit für Utopien?)
mit Beiträgen von:
Rosemarie Weibel - Was macht eine Familie aus und wer zählt dazu?
Juana Remus - Ein geschlechtsneutrales Familienrecht - Der Weg zu mehr Anerkennung für Trans*Personen
Vanessa Rüegger - Zeit für Utopien!
unter der Moderation von
Sandra Hotz und Michelle Cottier
Detailprogramm
Konzept
In diesem Panel referieren drei Beteiligte über bestehende und über möglichejuristische Konstruktionen von Familienbildern. Sie diskutieren dabei aktuelle Fragen der Familienrechtspolitik wie beispielsweise die Gesetzesvorlage zur Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche Eltern oder werfen ein kritisches Licht auf Familienbilder des Rechts etwa am Beispiel der jüngsten Rechtsprechung zum Familiennachzug im Migrationsrecht. Sie stellen alt hergebrachte rechtliche Kategorisierungen von Familien grundsätzlich in Frage und überlegen sich Utopisches zu dem, was eine Familie in unserer Rechts¬ordnung sein kann und soll.Der gemeinsame Ausgangspunkt bildet das im Jahr 2013 erschienene Buch „Keine Zeit für Utopien? Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht“ des FRI Schweizerisches Institut für Feministische Rechtswissenschaft und Gender Law (Keine Zeit für Utopien), das sich bereits in vielfacher Weise mit Familienbildern im Recht auseinandersetzt. Das Panel möchte inhaltlich einen Schritt weitergehen und sich vertiefter mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Wie sehen Vorstellungen von gemeinsamen Lebensformen jenseits von etablierten Kategorien wie Gross- oder Kleinfamilie, gleich- oder heterosexuellen Familien oder zwischen Paaren und Alleinerziehenden aus? Lassen sich Utopien oder utopische Fragmente in Bezug auf denkbare Formen des Zusammenlebens formulieren? Sind im geltenden Recht,in den aktuellen rechtspolitischen Vorschlägen oder in den internationalen Menschenrechtskonventionen utopische Momente ersichtlich? Inwiefern kann utopisches Denken als Methode der rechtlichen Geschlechterstudien (Legal Gender Studies) eingesetzt werden und darüber hinaus die Rechtspolitik infor¬mieren?
Das Panel gliedert sich in die folgenden drei Vorträge (Arbeitstitel) à je 20-30 Minuten:
Rosemarie Weibel, Rechtsanwältin in Lugano und Mitglied der Eidg. Kommission für Frauenfragen
Was macht eine Familie aus und wer zählt dazu?
Dieses Referat beschäftigt sich mit Familienbildern in der Schweiz anhand des Migrationsrechts, wo der Begriff der Familie besonders wichtig ist, weil ca. 1/3 der Einwanderung auf diesem Weg erfolgt. Es ist deshalb ein Feld, wo Auseinandersetzungen darüber geführt werden, was zum unverzichtbaren Kern der Familie gehört, ob Biologie, Rechtsinstitut oder gelebte Beziehungen ausschlaggebend sein sollen, wo sich z.T. deutlich zeigt, wie schwer neuere Entwicklungen es haben, anerkannt zu werden, aber auch ein Ort, wo Vorstellungen aus anderen Kulturkreisen und teils fast utopische Ziele des internationalen Rechts diskutiert werden, an denen wir weiter denken möchten.Juana Remus, Ass. jur., Humboldt Law Clinic Grund-und Menschenrechte,Humboldt Universität zu Berlin
Ein geschlechtsneutrales Familienrecht – Der Weg zu mehr Anerkennung für Trans*Personen?
Das deutsche Abstammungsrecht knüpft die Elternschaft an das Geschlecht und zeigt damit einmal mehr eine heteronormative Setzung auf. Um Leihmutterschaften auszuschliessen und die spezielle körperliche Bindung zwischen Kind und Mutter zu schützen, ist die Rolle der Mutter jener „Frau“ vorbehalten, die das Kind geboren hat. Die Vaterschaft wiederum ist an die Person der Mutter geknüpft. Damit berücksichtigt das Recht weder die geschlechtliche Identität von Personen, deren Geschlecht bei Geburt einem Geschlecht zugewiesen wurde, welches sich von dem selbstgewählten Geschlecht unterscheidet (sogenannte Trans*personen), noch das rechtliche Ge¬schlecht von Personen, deren Geschlechtseintrag nach § 22 Abs. 3 Personen¬standsgesetz (PStG) wegen eines „nicht-eindeutigen“ Geschlechts offen gelassen wurde.Dieses Referat möchtedas rechtliche Problem der Elternschaft ausserhalb von zweigeschlechtlichen Vorstellungen darstellen und diskutieren, ob ein „geschlechtsneutrales“ Abstammungsrecht hilfreich wäre, um Trans*Personen in ihrer Geschlechtsidentität anzuerkennen und welche Folgeprobleme dabei bedacht werden müssen.
Vanessa Rüegger, Dr. iur., assoziierte Professorin für öffentliches und inter¬na-tionales Recht Universitäre Fernstudien Schweiz in Brig und Habilitandin an der Universität Basel