Vereinbarkeit der allgemeinen und absoluten Strafbarkeit des Kaufs sexueller Handlungen mit Artikel 8 EMRK
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Gender Law Newsletter FRI 2024#4, 01.12.2024 - Newsletter abonnieren
EUROPA: MENSCHENRECHTE
Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Juli 2024, M. A. u.a. gegen Frankreich (Beschwerden 63664/19, 64450/19, 24387/20, 24391/20 und 24393/20)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt fest, dass das von Frankreich eingeführte gesetzliche Verbot des Erwerbs sexueller Dienstleistungen nicht gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privatlebens) verstösst.
Frankreich führte 2016 ein Verbot des Sexkaufes ein, um Menschenhandel zu reduzieren und den Schutz von in der Sexarbeit tätigen Personen zu fördern. Mehrere Verbände und Sexarbeiter*innen klagten 2018 gegen das Gesetz. Sie argumentierten, das Verbot zwinge sie zur heimlichen Arbeit und gefährde damit ihre Sicherheit und Gesundheit. Das Verbot greife so in ihr Privatleben und ihre sexuelle Autonomie ein und verletze die Art. 2, 3 und 8 EMRK. Der EGMR bestätigt, dass das Verbot einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle, dieser sei allerdings verhältnismässig und beruhe auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Der EGMR räumt Frankreich hier einen weiten Ermessensspielraum ein, da es innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats keine einheitliche Auffassung zur Regulierung von Sexarbeit gibt und da das Verbot auf legitimen Interessen wie öffentlicher Sicherheit und Verbrechensprävention basiere. Der EGMR kommt zum Schluss, dass die französischen Behörden mit dem Erlass des angefochtenen Verbots ihren Beurteilungsspielraum («margin of appreciation») nicht überschritten haben, da das Verbot das Ergebnis einer Abwägung im Rahmen eines demokratischen Prozesses innerhalb der betreffenden Gesellschaft und Teil eines – im Gesetz Nr. 2016-444 vom 13. April 2016 vorgesehenen – umfassenden Ansatzes ist, bei dem die verschiedenen von den Kläger*innen vorgebrachten Anliegen berücksichtigt wurden. Die Behörden seien jedoch verpflichtet, das von ihnen gewählte Konzept ständig zu überprüfen, zumal es auf einem allgemeinen und absoluten Verbot des Kaufs sexueller Handlungen beruhe, um es an die Entwicklung der europäischen Gesellschaften und der internationalen Normen in diesem Bereich anzupassen und eine sachgerechte Einzelfallprüfung zu gewährleisten.
Direkter Zugang zum Urteil (http://hudoc.echr.coe.int)
Kommentar der Strasbourg Observers (https://strasbourgobservers.com)