Aufhebung von Witwerrenten nach Volljährigkeit der Nachkommen
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Gender Law Newsletter FRI 2025#1, 01.03.2025 - Newsletter abonnieren
SCHWEIZ: SOZIALVERSICHERUNGSRECHT
Urteile des Bundesgerichts 9C_591/2024 und 9C_334/2024 von 4. und 16. Dezember 2024
Die Änderung der Rechtsprechung (Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – EGMR – vom 10. Oktober 2022) ist weder ein Revisions- noch Wiedererwägungsgrund nach Art. 53 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG). Geschiedene Witwer sind nicht geschiedenen Witwern (auch) bezüglich Beendigung der Witwerrente gleichgestellt.
Zur Erinnerung: Mit Urteil vom 11. Oktober 2022 hatte der EGMR festgestellt, dass die aktuelle Gesetzgebung, die die Beendigung der Witwerrente – im Gegensatz zur Witwenrente – vorsieht, wenn das jüngste Kind das Alter der Volljährigkeit erreicht, diskriminierend ist (vgl. Newsletter 2022#4 sowie Newsletter 2021#1). Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat daraufhin eine Übergangsregelung erlassen, wonach Witwer mit Kindern die Witwerrente zu denselben Bedingungen erhalten wie Witwen in einer vergleichbaren Situation (Mitteilungen an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen Nr. 460 vom 21. Oktober 2022).
Am 23. Oktober 2024 hat der Bundesrat eine Botschaft zur Anpassung der Hinterlassenenrenten verabschiedet. Die Vorlage sieht insbesondere vor, dass die Hinterlassenenrente für den hinterlassenen Ehegatten nur ausgerichtet wird, sofern Kinder unter 25 Jahren vorhanden sind, d.h. eine Verschlechterung der Witwenrenten zugunsten einer Verbesserung der Witwerrenten (Medienmitteilung vom 23. Oktober 2024; vgl. unteren Newsletter 2024#2 und Newsletter 2023#3).
Im Dezember sind zwei Bundesgerichtsurteile zu Witwerrenten ergangen:
Urteil des Bundesgerichts 9C_591/2024 vom 4. Dezember 2024: Die Witwerrente des Beschwerdeführers war mit Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 7. Juni 2019 formlos aufgehoben worden, nachdem dessen Sohn das 18. Altersjahr vollendet hatte. Das Bundesgericht bestätigt den vorinstanzlichen Entscheid, da weder die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision noch für eine Wiedererwägung gegeben sind (Art. 53 ATSG): eine nachträgliche Aenderung der Rechtsprechung allein genügt dafür nicht.
Urteil des Bundesgerichts 9C_334/2024 vom 16. Dezember 2024: In diesem Fall wurde die Mitteilung der Aufhebung der Witwerrente infolge Volljährigkeit der Tochter Ende März 2022 zugestellt. Nach Erlass des EGMR-Urteils vom Oktober 2022 verlangte der geschiedene Vater die Weiterausrichtung der Witwerrente. Strittig war, ob unter bestimmten Umständen Witwern gleichgestellte geschiedene Männer auch bezüglich Beendigung des Rentenanspruchs gleichzustellen seien: gemäss Bundesgericht «fehlt ein triftiger Grund, um vom klaren Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen […] abzuweichen und die Gleichstellung (bestimmter) geschiedener Männer mit Witwern nur hinsichtlich der Entstehung und Höhe des Rentenanspruchs, nicht aber bezüglich dessen Beendigung zu berücksichtigen. Das führt ohne Weiteres zu folgendem Schluss: Soweit der Rentenaufhebungsgrund von Art. 24 Abs. 2 AHVG nicht (mehr) auf Witwer anwendbar ist, kann er auch für einen geschiedenen Mann, der (im Sinne von Art. 24a Abs. 1 AHVG) einem Witwer gleichgestellt ist, keine Rolle spielen […]. Entgegenstehende Weisungen des BSV sind gesetzeswidrig und daher nicht zu beachten».