Volksinitiative Verhüllungsverbot
SCHWEIZ: VOLKSINITIATIVE UND BUNDESGESETZ
10.023 «Ja zum Verhüllungsverbot». Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag
In der Frühlingssession hat die Bundesversammlung beschlossen, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» zur Ablehnung zu empfehlen. Sie verabschiedete zudem einen indirekten Gegenentwurf, der vorsieht, dass im Kontakt mit den Behörden unter bestimmten Voraussetzungen das Gesicht entblösst werden muss. Ausserdem sollen einzelne Bundesgesetze angepasst werden, um innerhalb bestehender Förderprogramme einen Fokus auf Frauen zu legen
Der Abstimmungstermin ist noch offen.
Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» vom 15. September 2017 beträfe alle Personen, die ihr Gesicht verhüllen; vermummte Demonstrant*innen gleichermassen wie Personen, die Burka oder Niqab tragen. Ausnahmen sind nur für Gesundheit, Sicherheit, klimatische Bedingungen und «einheimisches» Brauchtum vorgesehen. Die Initiative enthält ausserdem ein Verbot, eine Person zu zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen. Der Gegenvorschlag sieht vor, dass Private ihr Gesicht zeigen, wenn dies zu Identifizierungszwecken notwendig ist. Wer der Aufforderung zur Enthüllung des Gesichts keine Folge leistet, wird mit Busse bestraft. Der Gegenvorschlag des Bundesrates hatte ausserdem eine Ergänzung des Nötigungstatbestands vorgesehen. Das Parlament ergänzte den Gegenvorschlag stattdessen mit einer Änderung des AIG, damit bei der Gewährung finanzieller Beiträge des Bundes für die sog. Integration an die Kantone den besonderen Anliegen von Frauen, Kindern und Jugendlichen Rechnung getragen wird; des GlG, damit Finanzhilfen nicht nur im Bereich des Erwerbslebens, sondern für die Gleichstellung «in der Gesellschaft» vergeben werden können; und des Bundesgesetzes über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, um die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit um die «Verbesserung der Situation der Frauen» zu ergänzen.
Kommentar von Manuela Hugentobler:
Die Volksinitiative wurde vom Egerkinger Komitee um SVP-Nationalrat Walter Wobmann lanciert. Die Initiant*innen argumentieren, sie wollten die Sicherheit der Bevölkerung im Allgemeinen und muslimische Frauen im Besonderen schützen. Der Bundesrat nahm mit seinem Gegenvorschlag diese Argumente auf, indem er daran erinnerte, dass bereits Regelungen bestehen, die Sicherheitsaspekte abdecken (z.B. Vermummungsverbot bei Demonstrationen in zahlreichen Kantonen) und indem er dem Straftatbestand der Nötigung einen konkreten Anwendungsfall hinzufügte. Er folgte damit der Argumentationslinie der Initiative, obwohl es den Initiant*innen weder um Geschlechtergerechtigkeit noch um die «Integration» der muslimischen Schweizer*innen geht, sondern darum, Islam- und Frauenfeindlichkeit zu bedienen. Im Modus des «white men save brown women» (Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? 1988) reproduzieren Kleidervorschriften ausschliesslich für die weibliche, muslimische Bevölkerung (auf die die Initiative zielt, auch wenn weder Niqab noch Burka im Text explizit vorkommen), kolonialistisch-rassistische Machtverhältnisse.
Der Gegenvorschlag des Parlaments ist im Vergleich weniger heikel; problematisch ist dennoch, im Rahmen eines indirekten Gegenvorschlages angebliche Sicherheitsprobleme lösen zu wollen. Der rassistischen, islamfeindlichen und sexistischen Initiative zu unterstellen, sie hätte emanzipatorisches Potenzial, indem das Parlament in mehreren Gesetzen für Finanzhilfen einen Frauenfokus setzt, normalisiert überdies die grundrechtsfeindliche Haltung der Initiant*innen und ihrer Initiative.
Will das Parlament ein friedliches Zusammenleben der Gesellschaft ermöglichen, wäre es zielführender, unabhängig von dieser Initiative ein kohärentes Anti-Diskriminierungsrecht zur Bekämpfung struktureller Benachteiligungen zu schaffen.
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