Neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt
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Gender Law Newsletter FRI 2024#3, 01.09.2024 - Newsletter abonnieren
EU: INKRAFTTRETUNG EINER RICHTLINIE (GASTBEITRAG)
Gastbeitrag von Rebecca Rohm
Am 13. Juni trat mit der Richtlinie (EU) 2024/1385 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (im folgenden Text: die RL) der erste umfassende Rechtsakt zum Thema auf der Ebene der EU in Kraft.
Seinen realpolitischen Ausgangspunkt nahm das Vorhaben wohl auch als Reaktion auf die Blockadehaltung einiger EU-Mitgliedstaaten gegenüber der Istanbul-Konvention. Im Folgenden sollen einige ausgewählte Inhalte kurz vorgestellt werden, bevor auf den Tatbestand der Vergewaltigung eingegangen wird, der es nicht in den endgültigen Text der Richtlinie geschafft hat.
Die RL enthält den Gesetzgebungsauftrag, verschiedene Formen misogyner Gewalt unter Strafe zu stellen. Der gefundene Konsens an strafwürdigen Verhaltensweisen reicht dabei von weiblicher Genitalverstümmelung, Zwangsheirat bis hin zur Weitergabe intimer Aufnahmen und Cybermobbing und deckt damit unterschiedliche Intensitäten und Erscheinungsformen von Gewalt ab. Es ist dabei sehr zu begrüssen, dass auch Gewalt im virtuellen Raum Eingang in die RL gefunden hat. Beispielsweise sollen nach Art. 5 Abs. 1 Bst. b sog. deepfakes unter Strafe gestellt werden, also das Herstellen, Manipulieren oder Verbreiten von sexuell explizitem Material durch bspw. Einfügen des Gesichts von Menschen.
Weiterhin wird korrekt erkannt, dass Ermittlungspersonen oft nicht angemessen fachlich qualifiziert sind, um mit Fällen sexualisierter Gewalt oder häuslicher Gewalt umzugehen (Art. 36). Im Bereich der virtuellen Gewalt werden Betroffene unter Hinweis auf die Anonymität des Internets oft vertröstet oder die real erlebten Folgen nicht ernstgenommen. Erforderlich ist demnach insgesamt auch ein Umdenken innerhalb der Ermittlungsbehörden, das hoffentlich mit der Kriminalisierung virtueller geschlechtsspezifischer Gewalt angestossen wird.
Ein wirksamer Schritt hierzu wären auch umfassende Leitlinien zum Umgang mit Fällen geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, wie sie in Art. 21 vorgeschlagen werden. So kann jedenfalls im Ansatz versucht werden, dass «Opfer traumasensibel, geschlechtersensibel, behindertengerecht und kindgerecht behandelt werden» (Art. 21 Bst. e). Nach Art. 21 Bst. f können Leitlinien ausserdem Ratschläge dazu enthalten, wie «sichergestellt werden kann, dass Opfer respektvoll behandelt werden und Verfahren so durchgeführt werden, dass eine sekundäre Viktimisierung oder Reviktimisierung verhindert wird». Damit wird ein zentrales Problem im Umgang mit Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt angesprochen. Unter sekundärer Viktimisierung werden negative Folgen für Betroffene verstanden, die nicht direkt aus der Gewalttat, sondern durch den fehlerhaften und unsensiblen Umgang durch das soziale Umfeld und Ermittlungsbehörden auftreten. Hier können als Beispiele die lückenhafte Aufklärung oder Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Tatmotiven, eine Täter-Opfer-Umkehr oder mangelhafte Kommunikation und fehlende Sensibilität genannt werden. Dabei handelt es sich auch bei geschlechtsspezifischer Gewalt um ein institutionelles Problem. Allzu oft wird Frauen beispielsweise bei erlebter häuslicher Gewalt bis hin zum Femizid eine Mitschuld an der Tat vorgeworfen durch sog. provozierendes Verhalten oder Anlass zu Eifersucht. Zu diesem Thema gibt es eine interessante Studie vom IDZ Jena.
Weitere wichtige Punkte der RL sind Mindeststandards für Schutzmassnahmen wie Kontaktverbote sowie die Vermittlung an Unterstützungsdienste. Unterstützung und Beratung sollen dabei unabhängig davon bereitgestellt werden, ob Strafanzeige gestellt wurde (Art. 25 Abs. 1). Bei der Auswahl der Schutzmassnahmen soll für den Schutzbedarf immer die individuelle Situation evaluiert werden (Art. 16 ff.). Betroffene Kinder sollen beispielsweise nur durch extra geschultes Personal vernommen werden. Gemäss Art. 24 Abs. 1 ist die Möglichkeit von Entschädigung durch die Täter im nationalen Recht zu verankern. Der rechtliche und tatsächliche Zugang zu Entschädigung soll dabei möglichst niedrigschwellig sein. Hierzu gehört auch die Verpflichtung, tatsächlich ausreichend Notunterkünfte bereitzustellen (Art. 30 Abs. 2). Diese müssen ausdrücklich allen Betroffenen offenstehen, d.h. ohne Rücksicht auf den Aufenthaltsstatus. Zudem müssen besondere Bedürfnisse von Kindern und Behinderungen mitgedacht werden.
Besonders zwei Narrative verdienen Aufmerksamkeit und Lob: Zum einen anerkennt die Richtlinie ausdrücklich patriarchale Machtstrukturen als Wurzel von Unterdrückung und geschlechtsspezifischer Gewalt. Konsequenterweise verpflichtet Art. 35 die Mitgliedstaaten geeignete Massnahmen zur Prävention und Sensibilisierung zu ergreifen, bei denen insbesondere auch die Wichtigkeit des Konsenses in sexuellen Beziehungen betont wird. Positiv ist zudem zu erwähnen, dass die RL bei der Evaluation von besonderem Schutzbedarf auch Mehrfachdiskriminierung («intersektionelle Diskriminierung») anerkennt. Art. 16 Abs. 4 geht insofern korrekt davon aus, dass in solchen Fällen Betroffene einem erhöhten Risiko von Gewalt ausgesetzt sind.
Gleichzeitig ist natürlich auch immer Luft nach oben und es gibt auch Anlass zu konkreter deutlicher Kritik: Der Tatbestand der Vergewaltigung wurde nicht in die RL aufgenommen. Hier bestand die Hoffnung, dass eine einheitliche, stark am aktiven Konsens (im Sinne des «nur ja heisst ja») ausgerichtete Strafnorm die Situation von Betroffenen EU-weit verbessern könnte. Insbesondere die Bedenken der deutschen Bundesregierung führten jedoch im Ergebnis dazu, dass der Tatbestand nicht in die RL aufgenommen wurde. Hierzu hat der DJB deutliche Kritik formuliert (vgl. offenen Brief des DJB). Immerhin ein winziger Schritt in Richtung konsensbasierter Kultur ist Art. 35 Abs. 1, nach dem Massnahmen ergriffen werden sollen, um die wesentliche Rolle des Einverständnisses bei sexuellen Beziehungen zu betonen.
Insgesamt handelt es sich um einen Meilenstein, der in Teilen auch gute Ansätze hat und hoffentlich spürbare Verbesserungen bringen wird. Gerade in Zeiten von konservativen und antifeministischen Rückschritten weltweit und auch in zahlreichen Staaten der EU ist es wichtig, dass nun ein Mindeststandard zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt besteht.
Direkter Zugang zur Richtlinie (EU) 2024/1385 (https://eur-lex.europa.eu)