Erste Schritte zur Modernisierung des Abstammungsrechts

SCHWEIZ: REFORM DES ABSTAMMUNGSRECHTS

Bericht der Expert-inn-engruppe und des Bundesrats vom 17. Dezember 2021

Als Grundlage für den Bericht des Bundesrats zum Postulat 18.3714 «Überprüfung des Abstammungsrechts» hat das Bundesamt für Justiz den Bericht einer Expert-inn-engruppe eingeholt. Diese empfiehlt eine umfassende Neukonzeption des Abstammungsrechts, die der Diversität von Familien Rechnung trägt, und das bisherige gesetzliche Ideal einer traditionellen, bürgerlichen, auf der heterosexuellen Ehe beruhenden Kleinfamilie verabschiedet.

Der Ständerat hat am 12. Dezember 2018 das Postulat 18.3714 seiner Kommission für Rechtsfragen «Überprüfung des Abstammungsrechts» überwiesen. Der Bundesrat wurde damit beauftragt, den Reformbedarf im Abstammungsrecht zu prüfen und dem Parlament in einem Bericht gegebenenfalls Empfehlungen zu unterbreiten. In der Folge hat das Bundesamt für Justiz eine interdisziplinäre Expert-inn-engruppe eingesetzt, deren Bericht am 17. Dezember gemeinsam mit dem Postulatsbericht des Bundesrats veröffentlicht wurde.
Die Expert-inn-engruppe legt eine umfassende Neukonzeption des Abstammungsrechts vor, das die Begründung, die Anfechtung und die Aufhebung des Kindesverhältnisses unabhängig vom Zivilstand und Geschlecht der Eltern für alle Kinder gleich regelt, an den Grundrechten orientiert ist und psychologische Erkenntnisse insbesondere zum Kindeswohl einbezieht. Eine Reform des Abstammungsrechts bietet laut den Expert-inn-en «die Chance, die gesellschaftliche Realität abzubilden und folglich der Diversität von Familie Rechnung zu tragen: Familien bestehen aus Kindern mit einem, zwei oder weiteren Elternteilen, die Verantwortung für die Kinder übernehmen, unabhängig von der Form ihres Zusammenlebens und ihrer geschlechtlichen Orientierung.» (Bericht, S. 34). Der Expert-inn-enbericht schlägt aus diesem Grund geschlechtsneutrale Formulierungen vor (erster und zweiter Elternteil) und nimmt als Ausgangspunkt den Willen zur Übernahme von Pflege- und Erziehungsverantwortung, die intentionale Elternschaft. Das Kindesverhältnis zum zweiten Elternteil soll nach dieser Konzeption statusunabhängig durch Anerkennung entstehen, womit die Vermutung der Elternschaft des Ehemanns oder der Ehefrau der gebärenden Mutter abgeschafft werden würde. Zur Elternschaft von mehr als zwei Personen enthält der Bericht ebenfalls Empfehlungen.
Der Bericht des Bundesrats sieht den Reformbedarf weit weniger umfassend und schlägt bloss punktuelle Reformen zur einheitlichen Regelung der Anfechtung der Vaterschaft, unabhängig vom Zivilstand der Eltern, zur Regelung der privaten Samenspende und zur gesetzlichen Verankerung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung und der Nachkommenschaft vor.

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